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IN ANFÜHRUNGSZEICHEN

Ich muss zugeben: ich habe sie auch. Es ist eine Infektion, die vor allem sehr korrekte Schreiberlinge erwischt. Korrekt stimmt allerdings dann doch insofern nicht, als es mir nicht darum geht, korrekt – das sich vom lateinischen corrigere (richtig stellen) herleitet – zu sein, sondern darum, verschiedene semantische, d.h. Bedeutungsebenen zu kennzeichnen. Die Anführungszeichen-Erkrankung ist eine Erkrankung, bei welcher der – na, wie heißt denn der, der da schreibt?? – Verfasser von Texten ein Wort oder eine Sentenz aus dem ursprünglichen Deutungsrahmen in einen neuen Rahmen setzt. Es ist eine tiefgreifende Erkrankung, denn sie bedeutet, dass hier ein Mensch auf mindestens zwei Bedeutungsebenen lebt und denkt. Das kann erhebliche Komplikationen hervorrufen, auch und gerade beim Leser. Muss es aber nicht.

Na – ich höre schon die Einwände: Anführungszeichen werden doch verwendet, wenn die direkte Rede markiert wird! Genau. Man nennt sie in diesem Zusammenhang auch „Gänsefüßchen“ oder „Anführungsstriche“, und es gibt sie in „oben“ und „unten“ (was mein Schreibprogramm – oh Wunder – richtig wiedergeben kann!). Diese doppelten Anführungszeichen kann man aber tatsächlich noch anders verwenden: z.B. muss ich in meinem Text verwendete Zitate in Anführungszeichen setzen, um hervorzuheben, dass dieser Wortlaut nicht von mir stammt. Die Lehrer in der Schule verstehen da nur selten Spaß und kreiden einem das in Klassenarbeiten übel an. Doppelte Anführungszeichen kann ich auch verwenden, um etwas hervorzuheben. So hätte ich oben auch schreiben können: Im lateinischen „corrigere“ bzw. „correctus“ steckt die Silbe „rectus“ – aufrecht. (Sie sind übrigens gerade Zeuge davon, dass ich an der Kursiv-Krankheit erkrankt bin. Aber ich garantiere Ihnen: Sie ist nicht ansteckend.)

Die Anführungszeichen gibt es übrigens auch in einfacher Ausführung. Viele Leute benutzen lieber diese – ich nicht. Ist mir zuviel Gewissel, da zwischen einfachen und doppelten hin und her zu wechseln. Also, die ‚einfachen‘ Anführungszeichen (ebenfalls in Oben- und Unten-Ansicht erhältlich) werden oft innerhalb einer Matrix von doppelten Anführungszeichen verwendet. z.B. Bernadette sagte: „Ich habe gestern des Buch ‚Menschheit und Gehorsam‘ gelesen.“ – Achtung, ich kursiviere das nachträglich.

Zurück zu den doppelten Anführungszeichen. Ich bin ja ein Fan von Ironie, und damit ich dahingehend auch verstanden werde, verwende ich häufig Anführungszeichen, um den Wink mit dem Zaunpfahl zu platzieren: Ich bin „nur“ eine Frau. Hat es geklappt? In der mündlichen Kommunikation sieht man immer wieder, dass die Leute dann so komische Krähenfüße (sprich Gänsefüßchen) in die Luft malen. Noch ein anderes Beispiel. Gestern ertappte ich mich dabei, dies zu schreiben: „…Dabei teilen sich die beiden Männer letztlich tatsächlich „nur“ den Sonnenstand – ansonsten liegen die Unterschiede wieder einmal in den vielen Details.“ Also, das ist nicht ironisch gemeint, sondern als Hinweis darauf, dass ich zunächst mehr als eine Gemeinsamkeit erhofft oder erwartet hatte, und nun ein wenig desillusioniert bin, weil es eben einer ist, und nicht mehr. Man könnte das im weitesten Sinne eine (überflüssige) Hervorhebung nennen, und davon mache ich nicht minder zahlreichen Gebrauch, wie man in meinen Texten unschwer sehen kann. Wenn ich sprachlich versierter wäre und meine Erwartung heraushielte, könnte ich mir das Anführungszeichen allerdings sparen, indem ich so schriebe: „Die beiden Männer teilen sich den Sonnenstand – ansonsten liegen die Unterschiede wieder einmal in den vielen Details.“ Ich könnte mit einer Kursivsetzung nachhelfen – denn dieses Kursive weist darauf hin (das habe ich bisher zu erwähnen vergessen), dass auf dem kursiv Gesetzten die Satzbetonung liegt. Ein ziemlich raffiniertes Mittel. Haben Sie es probiert?

Und hier komme ich nun zum Sonderfall in meinem Fall. Neulich fragte mich einer: „Warum schreibst du eigentlich, der Stier sei „grausam“?“ (Oh, hier wimmelt es nun von AZ!) Dieses „grausam“ ist ebenfalls nicht ironisch gemeint. Ironie würde nämlich bedeuten, dass ich genau das Gegenteil meinte. Das trifft es aber nicht. Damit ein Leser diesen Satz versteht, braucht er einen Metakontext. Der Stier, von dem ich schreibe, ist nicht das Tier, sondern das Tierkreiszeichen Stier, und dass sich aus den Charaktereigenschaften bzw. den Verhaltensanlagen des Stiers eine Grausamkeit erschließt, hat mit den Umständen seiner Aufgabe im Tierkreis zu tun. Um es noch komplizierter zu machen: Die „Grausamkeit“ des Stiers ist aus dieser Aufgabe heraus verständlich und für ihn nachgerade notwendig, wiewohl sie anders gestimmten Wesensarten nicht gut tut. In keiner Weise verurteile ich mit meiner Formulierung irgendeinen Stiermenschen oder unterstelle ihm Grausamkeit (was man so umgangssprachlich darunter versteht, so etwas wie den Arm verdrehen oder so).

Es sind die Kontexte, die ich klarstellen möchte, und dazu gleich noch ein Beispiel: „[…] Ich muss an die „Leberdepression“ denken, die sich hier manifestieren will und wird. Mithin: die Selbstabgrenzung ist nicht möglich, da die Schleusen geöffnet sind. Schwache Abwehr mit der Anlage zur Verschmelzung mit der Umwelt und mit allem.“ Zum Inhalt des Satzes, der ein wenig aus dem Zusammenhang gerissen ist, keine weitere Energieverschwendung  – der Begriff  „Leberdepression“ in dieser Äußerung setzt eine Wissenskaskade in Gang, oder? – Das ist natürlich etwas für – Achtung, keine Anführungszeichen! – Eingeweihte. Eingeweihte z.B. in die Beschreibung der astrologischen Konstellation Saturn-Neptun insbesondere in der Nomenklatur der „Münchner Rhythmenlehre“ (aber nicht nur da). Hier habe ich Anführungszeichen gesetzt, weil es eine Bezeichnung und ein Titel ist.

Schreiben hat etwas mit Konventionen zu tun. Die lernen die Kleinen bestenfalls bereits am Beginn des Schreibenlernens, noch nicht im Gebrauch der Anführungszeichen, aber als bestimmte in der Sprachgemeinschaft geltende Laut-Graphem-Zuordnungen. Wenn wir unseren kleinen Kreis derer, die uns und unsere Art zu sprechen, gut kennen, verlassen und uns einer größeren Gruppe gegenüber äußern, werden die Konventionen immer wichtiger. Warum? – Damit die Verständigung gewährleistet bleibt. Ich bin umso verständlicher, je eindeutiger ich schreibe und spreche. Vieldeutigkeit anzuwenden und sie in der Umkehrung bei anderen zu verstehen, ist schwierig. Aber es gibt eben diese Hilfsmittel. (Und zugegeben – ich treibe bisweilen, wenn ich einen neuen Infektionsschub habe, die Vieldeutigkeit ein wenig zu weit.) Ich darf mir allerdings zu Gute halten, dass ich über die Jahre das Kursvischreiben und die „Anwendung der Anführungszeichen“ in eine annähernd konsequente Form gebracht habe.

Auf diese Weise – nämlich mit Bewusstmachung, Disziplin und Konsequenz – können übrigens einer Reihe von Erkrankungen die akuten Spitzen genommen werden. In diesem Sinne: Ich werde weiter meine „Anführungszeichen“ „verwenden“. Einverstanden?

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