Klingt herrlich grammatikalisch falsch. Wie dieser fehlerhafte Dativausdruck zustande kam – die Redewendung stammt aus dem norddeutschen Dialektalen, das nur den Artikel de bzw. dat kennt – unterschlage ich mal. Butter bei die Fische: Nun komm doch mal zur Sache!
Also Sache ist: Wieviel Meer ist in unserer deutschen, doch so steinböckisch daherkommenden Sprache? Antwort: Sehr viel Meer. Ich gehe einen nicht völlig unernsten Umweg. Vorangestelltes Zitat stammt nicht von einem deutschen Seefahrer, sondern von einem Mann, dessen Name eine nahöstliche, zumindest auch muslimische Herkunft verrät. Abu Ya’qub – Vater (von) Jakob – bringt es auf den Punkt. Wasser ist das Element des Lebens schlechthin. Wie leben in ihm, auf ihm, befahren es sogar, um an neue Ufer zu gelangen – und sind doch nur „Reisegesellschaft“. Wir sind weder Besitzer noch sollten wir Verbraucher noch Veruntreuer oder Verschmutzer sein.
Meine Kindheit verbrachte ich auf einem Eifeler „Hochplateau“ mit einem steilen Abhang hinunter ins Kylltal, von Meer keine Spur; die Kyll nur ein kleiner Zubringer zur Mosel, die in den Rhein mündet, der dann schließlich im Meer aufgeht. Das sah ich zum ersten Mal mit 10 oder 11 Jahren, zu der Zeit war ich allerdings bereits traumatisiert, weil ich mich im Schwimmunterricht geweigert hatte wie befohlen zu tauchen. Das hatte zur Folge, dass man mich (ich weiß nicht mehr, ob es ein Lehrer oder eine Lehrerin war) am Kopf festhielt und einfach untertauchte, damit ich den verflixten kleinen, lakritzfarbenen Reifen vom Beckenboden aufhob. Danach hängte ich meinen rosafarbenen Badeanzug an den Nagel und stieg nie wieder ins Wasser. Ich bin definitiv kein Wasserwesen, wiewohl ich Wasser liebe und vor allem respektiere. Eine friesische Weisheit besagt: „Die Seele ist das Schiff, das Herz das Steuer und die Wahrheit der Hafen.“ Hier taucht das Wort „Wasser“ gar nicht auf, und doch haben wir einen klaren Hinweis auf Neptun. Und da wir schon bei der Seele sind: Von Elisabeth Mann Borgese stammt die Sentenz, dass das Meer der Spiegel unserer Seele sei. Das Meer – aus verschiedenen Richtungen betrachtet, ist Hafen wie Spiegel, ist Wahrheit wie „Zielort“ unserer Seele. Das deutsche Wort „Seele“ ist ebenfalls dem Wässrigen entstiegen. Oder noch anders: bei den drei Wasserzeichen im Tierkreis (Fische, Skorpion und Krebs) assoziiere nicht nur ich das Zeichen Krebs mit der Quelle, oder zumindest mit einem klaren, weitgehend umschlossenen, leicht fließenden, vielleicht sprudelnden Gewässer (einem See). Der Skorpion in diesem Dreigestirn ist bei vielen eher als der undurchsichtige, stehende, fast schon verlandende Bruder assoziiert. Das ist die eine Seite, so wie natürlich auch Fische und Krebs ihre Vor- und Rückseite pflegen. Skorpion-Wasser geht nicht in die unendliche Weite, sondern ist das tiefe (ebenfalls auch umgrenzte) Wasser, das weit hinunter ins Erdreich reicht. In der Eifel aufgewachsen, haben mich die Themen Vulkane und Krater immer begleitet – Skorpion-Wasser sind für mich die Maare, die Wasser, die sich dort gesammelt haben, wo einmal die Erde ihr Feuer ausgespien hat.
So, nachdem das nun einigermaßen geklärt ist, gehe ich auf die Suche nach dem Wasser in unserer Sprache, die ja doch so einigen Tiefgang hat. Wenn jemand also so ganz euphorisch unterwegs ist und vor sehr viel Freude am bloßen Ausdruck voller Tatendrang losläuft, kommt schon hier und da einer, der mit beiden Beinen auf dem Boden steht, und ihm den Wind aus den Segeln nimmt. In Hinblick auf viele derzeitige (politische und pseudopolitische) Vorgänge und Geschehnisse fragen sich viele von uns, wann denn die entsprechenden Protagonisten die Segel streichen, das heißt, selbige einholen und damit nicht weitersegeln, sondern aufgeben. Das mit dem Aufgeben kommt natürlich nie gut an, ihm haftet der Makel der Schwäche an, ist schon klar. Lieber bleibt ja jeder doch am Ruder, wenn er es denn einmal in der Hand hält, und meint, er könnte es eventuell mit der nächsten Maßnahme doch noch herumreißen. Als Folge dieser Beharrlichkeit sind schon etliche Reisegesellschaften gescheitert – im Fachjargon: gekentert.
Die, die dann aus den Wassern gerettet werden konnten, sind mitnichten mit allen Wassern gewaschen. Das sind eher die, die erst überhaupt nicht kentern und in die Situation des Ertrinkens geraten, sondern sich in der Welt umsehen, vieles erfahren, aus brenzligen Situationen mit Witz und Tricks herauskommen, solche, die sich zu helfen wissen. Alle Wasser – das sind die Wasser der sieben (oder haben wir inzwischen mehr?) Weltmeere. Und wer da so aus dieser Seefahrts-Wasserwelt zurückkehrt, erzählt auch schon mal viele Geschichten – einige davon sind aus Seemannsgarn gesponnen. – Vielleicht ist ja die nächste Geschichte (im nächsten Absatz) auch Seemannsgarn? Die Norddeutschen sind geschichtlich-geografisch gesehen ein Seefahrervölkchen, lebten vom Fischfang auf der Nordsee und vom Handel zwischen den anrainenden Nachbarn. Boote und Schiffe waren tägliches Brot. Ich bin – abgesehen davon, dass ich eine bekennende Nichtschwimmerin bin – auch keine Anhängerin von Boots- oder Schiffsfahrten. Erstens ist es mir lieber, dass ich festen Boden unter den Füßen habe, die Planken sind mir zu wackelig, zweitens – in einem Boot ist man der Situation ohne große Möglichkeiten eigenen Zutuns ausgeliefert. Wir sitzen alle im gleichen Boot – heißt so ein wenig: mitgefangen, mitgehangen. Wer da eingestiegen ist, kann nicht auf offener See den Walkout machen. Ja, doch, kann er – zu einem hohen Preis.
Ich fand ja als Kind den Odysseus unglaublich mutig. Was der da alles auf seiner Irrfahrt auf dem Meer erlebte! Die Redensart „jemand habe eine Odyssee hinter sich“ – ist zu meiner Freude in die deutsche Sprache eingegangen. Wenn ich Odysseus höre, oder denke, fällt mir ein anderer Seemann ein, einer aus dem deutschen Norden und ein Anti-Held der Seefahrt, nämlich der Pirat Klaus Störtebeker. Ihm verdanken wir unter anderem die Bekanntheit der Redensart „seinen Kopf hinhalten„, denn er soll sich – um seine Mannschaft vor der Bestrafung zu bewahren – freiwillig zur Hinrichtung durch Köpfen entschieden haben. Noch heute ist es bisweilen so, dass ein „Stellvertreter“ – quasi als „looser takes all“ – seinen Kopf hinhält und dafür um einen kürzer gemacht wird – zivilisiert natürlich: er wird gekündigt. Störtebeker soll dem Henker vor der Prozedur das „Versprechen“ abgerungen haben, dass alle jene Mitpiraten seiner Mannschaft begnadigt würden, an denen er ohne Kopf noch vorbeilaufen werde. Also, ich wollte den Störtebeker hier unbedingt drinhaben.
Hamburg ist eine Seefahrer-Stadt, auch wenn der Hamburger Hafen ziemlich weit im Inland und an einem Fluss liegt. Die Schiffe, die nun rein- und wieder rausfahren, können das ohne Kenntnis der Flussuntiefen nur zur Ungenüge, weswegen ihnen ab und bis Cuxhaven Lotsen beigestellt werden. Der Lotse kommt an Bord. Und wenn er seine Aufgabe, das Schiff durch die Gefahrenzone zu navigieren, erledigt hat, geht er wieder von Bord. Mir ist der Ausspruch zu allererst in meinem Geschichtsbuch in der 7. Klasse als Zeichnung begegnet: Ein Schiff, oben ein nach unten schauender Kapitän, an der Seite ein alter, etwas beleibter Mann, der an der Bordaußenwand eine Treppe hinunter geht, um in ein Boot zu steigen. Bismarck war der Lotse, dessen Rücktritt von Kaiser Wilhelm II forciert worden war. Das Ganze war als Karikatur gedacht – der Lotse geht von Bord kann heißen, dass alle Gefahren jetzt gemeistert sind, so dass es des Lotsen nicht mehr bedarf. Oder es heißt: Obwohl noch nicht alle Gefahren gebannt sind, entlässt man den, der die Navigation beherrscht.
Wenn denn ein Neuer an Bord kommt („Willkommen an Bord!“), ist zunächst zu klären, was anliegt. Chef, was liegt an? – heißt: Was ist zu tun? Was sind die nächsten Aufgaben? Ein Schiff legt an, und wenn es anliegt, muss es gelöscht werden, d.h. seine Fracht muss ausgeladen werden. Daher kommt ursprünglich aber nicht das Anliegen, das jemand hat. Einen Punkt anliegen, heißt auf Steuermannssprache, die Deckungsgleichheit von Windrosenskala und Steuerstrichen auszumachen, um tatsächlich am gewünschten Ziel bei richtiger Richtungswahl anzukommen. Orientieren müssen wir uns vor allem auf dem Wasser anders als an Land. Leuchttürme sind übrigens unerlässlich, das können auch Menschen sein. Aber ich mache jetzt einen Abstecher zu noch anderen Belangen. Ich wechsele kurzzeitig das Thema oder die Route, um später wieder auf den Hauptstrang zurückzukommen. Den wörtlichen Abstecher brauchte man, um sein kleines Boot vom größeren Schiff, das man in eben diesem Boot verlassen wollte, abzustoßen. Der Stecken, den man dazu benutzte, diente als Abstoßhilfe. Und weil man im Beiboot nie lange Fahrten unternahm und später zum Schiff zurückkehrte, wurden daraus die oben bereits genannten Abstecher.
Es kann schon vorkommen, dass man nun bei einem solchen Abstecher den roten Faden verliert und sich auf einem falschen Dampfer wiederfindet. Das mit dem Faden ist klar, oder? – Der rote Faden ist der, der den Sinn einer Geschichte ausmacht. Die Redensart stammt aus der Handarbeitskunst, z.B. dem Häkeln oder auch Weben. Übertragen bedeutet er: Ich habe vergessen, was ich sagen wollte. Der andere Faden ist der, der die Tiefe auslotet. Ganz wichtig beim Schiff, denn es ist höchst notwendig, immer zu wissen, wieviel Wasser noch unterm Kiel ist, andernfalls läuft man Gefahr zu stranden. Der Kiel (hat nichts mit der Stadt Kiel zu tun, oder doch?) ist der mittschiffs im Boden angebrachte Längsverband eines Schiffes oder Bootes und somit das „Rückgrat“ des Schiffes. Der nautische Faden ist eine Maßeinheit der Länge, wird heute noch angewandt, eine andere ist die berühmte Handbreit. Wenn jemand eine ungewöhnliche oder auch gefährliche Unternehmung beginnt, wünschen wir ihm „immer zwei Handbreit Wasser unterm Kiel“: Viel Glück und Erfolg. Ich kann stattdessen auch Mast-und Schotbruch wünschen, ist eben ein wenig rauher und sarkastischer.
Ich könnte sicher noch mehr Butter finden und bei die Fische tun, komme aber nun doch gegen Ende zu den berühmten Ratten, die das sinkende Schiff verlassen. Das Bild hat mir immer gefallen, ich gebe zu, ich bin etwas „makaber“ drauf. Dabei sind die klugen Ratten eine wirklich hilfreiche Orientierung! Auf den frühen Segelschiffen waren immer – es war kaum zu vermeiden – die mitessenden Nager mit an Bord. Und laut einem Seemannsglauben waren sie die Ersten, die einen drohenden Schiffsuntergang witterten. Man muss also keine Bangbüx werden, wenn man sie fliehen sieht. Man tut gut daran, es ihnen nachzutun.
Also, bevor hier alles aus dem Ruder läuft und ich außer dem Faden auch noch die Peilung verliere, verweise ich auf lustiges Weitersuchen von Wässrigem im Deutschen. Ich als Landratte genieße das Wasser von Weitem und entschuldige mich für eventuelle Belanglosigkeit oder Themaverfehlung.