Wir schreiben den 28.2.2021 und einige von uns feiern vielleicht still einen Geburtstag, nämlich den 93. von Wolfgang Döbereiner. Ich habe den Text, den ich in den vergangenen Tagen unter dem Titel „Die Zwangsläufigkeit der verletzten Spur“ geschrieben habe, verworfen und werde ihn nicht veröffentlichen. Stattdessen stelle ich das „Mir-Vergegenwärtigen“ einer Begegnung, die immer dann begann, wenn ich einen neuen Seminarband in den Händen hielt und in den Fluss der Seminare eintauchte, ein.
Ich will – man möge mir verzeihen – weniger über Herrn Döbereiner schreiben als vielmehr über einige Empfindungen, die mir, der Jungfrau-Geborenen, mit den Fischen am IC (fast gradgenau identisch mit seinem MC), auch heute wieder „hochkamen“. Natürlich fanden sich in seiner Nähe nicht nur die Fische und andere Neptun-betonte Menschen ein, die sich wohl und verstanden fühlten. Am wenigsten verstanden fühlten sich, abgesehen von mir, so etliche Jungfrauen, was man aus einigen Kommentaren in den Seminarbüchern entnehmen kann. Deshalb war mir gleich zu Anfang die Rechnung, die er offensichtlich mit dem Jungfrau-Prinzip offen hatte, ins Bewusstsein gesprungen und dort geblieben. Das war in den Seminarbüchern aus den 70-/80er Jahren deutlich herauszuspüren, ließ dann später nach, was sich unaufgeregt aus dem Lauf des Lebens und Döbereiners eigener Entwicklung erklärt. Immerhin lief er 63-jährig (das war im Jahr 1991) im Fügungsrhythmus über den Jungfrau-IC, den er somit zum zweiten Mal erschließen konnte. Ich schreibe dies übrigens kurz vor meinem 63. Geburtstag und werde den II. Quadranten auf dem Weg in den I. Quadranten durch das Fische-Tor verlassen. Im 63. Lebensjahr geht es übrigens im Phänomensrhythmus in den IV. Quadranten hinein. Das ist schon allgemein so etwas wie „Heimkommen“, sage ich mal. Zumindest lässt man vieles aus der äußeren Welt hinter sich. Speziell für die MC-IC-Achse Fische-Jungfrau bei einem Fisch und einer Jungfrau ist dieser Übergang als das „Hinübergehen“ wesentlich.
Ich habe nie schwimmen gelernt. Man hat versucht, es mir beizubringen, und die erste Unterrichtsstunde wurde ein Fiasko, denn ich sollte einen ins Wasser geworfenen Ring herausholen – tauchend. Aber das Kind, gerade eben noch 9 Jahre alt, weigerte sich. Der Lehrer – ich glaube, es war ein Lehrer – akzeptierte mein Nein nicht und tauchte meinen Kopf unter Wasser, solange, bis ich blind tastend den kleinen Reifen erwischte und festhielt. Danach hatte ich zu jeder Schwimmstunde meinen Badeanzug vergessen, und das konsequent, bis dann glücklicherweise meine Eltern beschlossen umzuziehen und ich die Schule wechseln konnte. Der Schwimmunterricht war damit Geschichte und eine neue Neptun-Ära begann.
Von Herrn Döbereiner wissen wir, dass die „Jungfrau“ – mundan aus dem 6. Haus kommend – am Strand sitzt und in das anbrandende Meer hineinblickt. Das war sein Bild – und es passte für mich. Mit großem Respekt vor Wasser stehe ich gerne stundenlang und betrachte es, ich liebe den Geruch von Meer, liebe die Musik der Wellen, wenn sie auf Felsen brausen und sich dort brechen, oder einfach nur am Sand lecken. Der Wechsel von Flut und Ebbe ist mir „Zeitgeber“, wenn ich am Meer bin, und das aus dem Meer Angeschwemmte erzählt mir vom Leben auf der anderen Seite.
Der IV. Quadrant – das Jenseits, die andere Seite. Einer meiner (sehr vielen) Deutschschüler bedankte sich nach durchlaufenem Deutschkurs bei mir mit einer besonderen Karte. Er bedankte sich dafür, dass ich ihm ein Wort gegeben hätte, das sein deutsches Lieblingswort geworden sei: „Jenseits“.
Jenseits und Diesseits. Zwei Wörter und mehr als das. Döbereiners Weg der Aphrodite war eine Offenbarung für mich als Jungfrau, hier trafen sie sich am Strand – die Aphrodite und – ja, wer ist diese andere? – die Athene. In anderen als den griechischen Sagen kenne ich mich wenig aus. Dabei ist die Aphrodite die, die aus den Wellen an den Strand steigt. Was habe ich sie beneidet. Ich war bloß die Irdene, die Praktische, die, die fleißig den Anderen diente, die Vernünftige… Doch, halt, hier spielt natürlich schon die Verquälung mit, die Einseitigkeit der Verhaltensmitgabe, und die Verhinderung im Sinne einer Verwunschenheit auf eine vom Kollektiv gewünschte und akzeptierte Eigenschaft hin.
Stichwort Identifikation. Ich behaupte einmal leichtfertig, dass jeder sie sucht: sich in einem Vorbild wiederzufinden, im Vorbild zu sehen, wie man es „machen“ könnte, oder auch einfach nur zu sehen, wie das Vorbild das dem Geburtstierkreiszeichen Entsprechende gelebt hat. Also, so wie viele es tun und taten: ich suchte bekannte Persönlichkeiten mit meinem Geburtstag heraus. Schriftsteller gab es einige darunter, Musiker weniger, Maler meines Wissensstandes von heute, keine. Man kann mich da gerne korrigieren. Politiker fanden sich einige und ein Philosoph. Die beiden Männer, deren Kurzcharakteristik ich in den Horoskopen für jeden Tag las, waren mir nicht sonderlich sympathisch, Frauen meines Geburtstages waren in der Öffentlichkeit rar gesät. Asta Nielsen, ja, und das war es dann auch bis auf ein paar Unbekanntere. Ich kam nicht umhin, das Feld auf das gesamte Zeichen auszuweiten.
Die Jungfrauen kamen nicht gut „weg“. Der Fisch Döbereiner demontierte die Jungfrau Goethe und mit ihm noch einige andere Jungfrau-Geborene der sog. aufgeklärten Epoche. Dass er den Goethe nicht mochte, gefiel mir, den hatte ich auch nie gemocht und mich geweigert, seine Balladen auswendig zu lernen. Vielleicht war aber auch einfach nur mein Gedächtnis schlecht, wie es bei Menschen vorkommen soll, die viel verdrängen müssen. Meine sämtlichen Versuche, beim Goethe-Institut unterzukommen, scheiterten. Zum Glück, sage ich heute.
Inzwischen kenne ich mich gut. Ja, ich denke, das kann man so sagen. Ein großes Vermögen der Jungfrau-Geborenen ist zweifellos, dass sie bei entsprechender Bewusstheit gut unterscheiden können. Wenn eine Jungfrau Astrologin ist, dann wird sie dieses Unterscheidungsvermögen gut einsetzen können, um nicht Verhaltenseigenschaften im Sonnenzeichen mit Anlagen und dessen Eigenschaften im Aszendenten zu verwechseln, sofern diese nicht identisch sind (Sonne und AC im gleichen Zeichen). Sie wird akribisch (bis pingelig) auf die korrekte Wortwahl dringen, denn sie ist die Schnittstelle zur Außenwelt und an dieser Stelle das „Kommunikationsmittel“ des Subjekts, egal, wo in ihrem Geburtsbild nun das Zeichen und die Sonne stehen. Den kleinen Jungfrau-Geborenen kann man sehr früh sehr unterschiedliche Ausdrücke für Gemütslagen, Stimmungen und Befindlichkeiten an die Hand geben. Bei Kindern mit Mond in der Jungfrau habe ich des Öfteren beobachten können, dass sie für ihre Aussteuerung sogar auf diese Unterscheidungsmöglichkeit angewiesen sind, denn sie lesen aus den anderen das für sie und ihr Leben Gefährdende. (Schlimm deshalb auch die derzeitige Maskerade, die den Kindern das Lesen von Stimmungen unmöglich macht.) Habe neulich mit meiner Enkelin eine Reihe von Pantomime-Filmen angeschaut – und mich daran erinnert, wie mich das als Kind fasziniert hatte.
Eine Jungfrau kann eine Diagnostikerin werden. Aus meinem eigenen „Werdegang“ weiß ich zu erzählen, dass ich zwei Planeten im Löwen geschuldet eine Erlebniswelt im Unterricht erschaffen kann, und anderen Konstellationen zufolge ein Gespür für den Sprachstand von Schülern habe. Beides eine Kooperation aus Unterscheidungsvermögen und der Zugewandtheit an das Außen, und es paart sich mit der Anschauungsdomäne des 9. Hausers; Gesehenes, Wahrgenommenes zusammenschauen können. Voraussetzung für die „reine“ Diagnosefähigkeit ist eine weitere Unterscheidungsgröße, nämlich die, zwischen sich und den anderen trennen zu können. Wieviel von mir bin ich versucht im Entgegenkommenden zu suchen, weil es meinem Bedürfnis nach „Ganzheit“ entspricht bzw. meine Unvollständigkeit ausgleicht? Die Gefahr einer Verwechslung ist groß.
Das Gespür nicht nur für sich, sondern auch im Dienste der Anderen, setzt also noch eine Angelegtheit im III. Quadranten voraus. Das ist dann der Stolperstein für einen Menschen, der die Sonne in den Zeichen Krebs, Löwe oder Jungfrau dort stehen hat, wo mundan Schütze, Skorpion und Waage zuständig sind. Er lässt sich leicht im Sinne dessen, was ihm in der Welt entgegenkommt, benutzen. Das muss man so einer kleinen Jungfrau sagen, sonst verstrickt sie sich in Angelegenheiten, die möglicherweise nicht viel mit ihr zu tun haben.
Nun wird ja die Jungfrau gerne und oft als vernünftig, sachtreu und verlässlich bezeichnet. Eins hält sich beharrlich als Beschreibung: sie ist nicht annähernd so emotional, sprich gefühlsbeladen wie ein Krebs. Daraus spricht deutlich ein Missverständnis über den Krebs, der einerseits in seinem So-Sein und seinem Empfinden viel weniger irritierbar ist als die Jungfrau, und andererseits bei fehlender Traute auf das Empfinden seine Fühler ausstreckt und sich Impressionen von außen nach innen holt – und dann vor Gefühl trieft. Sie sehen – die Jungfrau mag das nicht. Der Löwe wiederum ist selbstverständlich souverän. Er drückt sich aus, recht unbeeindruckt von anderem und anderen. Die „Löwin“ Madonna hatte mal einen Hit („Express yourself“), mit dem sie ihren kompletten II. Haus-Verbund anschaulich machte. Den Mond als Herrscher ihres Krebses im 11. Haus drückte sie über den Löwen (Sonne in 12) und über die Jungfrau ins 1. Haus und brachte ihn in die Erscheinung. Zwar stehen eine Löwe-Sonne und eine Jungfrau-Sonne im selben Verbund, sind als Subjektive und zum „geschlossenen Ich“ gehörig der Welt dual gegenüber gestellt, doch weiß die Jungfrau mehr und besser um die Gefährdung in der Begegnung mit der Welt. Das 6. Haus – ein Kürzel eben auch: das Veränderliche kommt auf es zu. Es bedarf der Warnung.
Im Warnmodus gefangen wird so manche Jungfrau – wiederum ins Extrem laufend – leicht ein Opfer von Hypochondrie, der Erkrankung an der Angst vorm Krankwerden und am Hineinfallen ins Krankheitsloch. Es ist eine Jungfrau-Domäne, sich mit dem Fließgleichgewicht zwischen gesunden und kranken Zuständen zu beschäftigen. Und es könnten die Jungfrauen sein, die in der Hysterie um Symptome auch beschwichtigen sollten: Seid froh, wenn ihr Symptome habt – denn dann wisst ihr, woran ihr seid. Beobachten, zuordnen, aussteuern. Die Jungfrau wird auch sagen: Wir müssen nicht mit Kanonen auf Spatzen schießen. Das ist ihre Vernunft, die abwägt und bei entsprechender Orientierung durch den Fisch (!!) das richtige Mittel einsetzt. Dass da eine subjektive Befindlichkeit – und lassen wir es einmal einen krankgewordenen, jammernden und sofortige Linderung verlangenden Löwen sein – mit einem Tätscheln der Wange schon mal mitleidlos beiseite geschoben wird… Nunja. Sie befasst sich mit dem Problem an sich, und kehrt, wenn das erkannt und angegangen ist, gerne zur Subjektivität ihres Patienten zurück. Pragmatismus wird ihr oft vorgeworfen. Aber man muss immer schauen, wer da die anklagende Stimme erhebt und nicht vielleicht doch seinen Nutzen genau aus diesem Pragmatismus zieht.
Auf meinem Weg durch die Tierkreiszeichen und entsprechender bekannter Persönlichkeiten der Welt kam ich u.a. auf Maria Montessori und Ruth Cohn. An diesen beiden Frauen sieht man, worum es Jungfrau-Geborenen im Wesentlichen geht: um den Schutz des Lebens, und zwar des einzelnen Lebens, also des Individuums als eigenständigem Wesen.
Mehr will ich auch heute diesem Geburtstag von Wolfgang Döbereiner nicht aufladen. Es geziemt sich nicht, sich auf dem Rücken von anderen groß zu machen. Anregen will ich allerdings, ein klein wenig weil ich eine Jungfrau bin: die Welt braucht sie beide. Die Fische und die Jungfrauen, und das eine Prinzip ohne das andere ist nur die sprichwörtliche „halbe Wahrheit“. Fische – IV. Quadrant – wie Döbereiner es nannte „die Gewissheit“, und die Jungfrau als die, die sich der Gewissheit immer wieder vergewissern muss. Im „Wandel des Lebens im Tierkreis“ sind beide Tierkreiszeichen ausführlich beschrieben.