„Wenn die Begriffe nicht klargestellt sind, dann treffen die Worte nicht das Richtige. Wenn die Worte nicht das Richtige treffen, dann kann man in seinen Aufgaben keinen Erfolg haben, dann können Ordnung und Harmonie nicht blühen.“ (Kung Fu Tse, 551-478 v. Chr.)
Als jemand, der ständig schreibt, der das von anderen Geschriebene durchsieht und korrigiert, der anderen sagt, wie sie sich besser ausdrücken können, scheitere ich doch auch selbst immer wieder an meinen eigenen und den allgemeinen Maßstäben, scheitere nach wie vor, was heißt: ich setze mich über die von mir gelernten und an mich weitergegebenen „Regeln“ mehr oder weniger bewusst hinweg.
Darüber, was diese „Regeln“ sind, ob sie Sinn machen oder eher Symptom einer bisher unerkannten Krankheit sind, muss ich noch einmal gesondert überlegen.
Ich könnte auch sagen: ich schmunzele sie mit der sechsten Regel von George Orwell hinweg. Hier alle seine Regeln für die, die sich nicht mehr ganz erinnern:
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George ORWELL, 1946, Politics and the English Language. |
Etliche Vorkommnisse der letzten Wochen veranlassen mich dieser Tage, mich mit der „Verständlichkeit“ von Texten zu beschäftigen. Was ist es denn aber nun, worauf man beim Schreiben achten soll?
Ich habe das einmal gesammelt, und fasse es in dieser Tabelle zusammen:
Als schwer verständlich empfinden wir: | Leicht verständlich ist für Viele dies: |
kompliziert im Satzbau ungeläufige Wörter unanschaulich kurz ungegliedert holprig verschachtelt lange Sätze ohne Beispiel ungruppiert |
einfache Sätze geläufige Wörter etwas länger gut gegliedert mit Beispielen kurze Sätze flüssig anregend übersichtlich gruppiert |
Der Hauptgrund für die Schwerverständlichkeit eines Textes besteht darin, dass die meisten Schreiber gar nicht wissen, wie man sich verständlich ausdrückt. Sie haben es nicht gelernt. In der Schule z. B. wird „verständliches Schreiben“ kaum explizit behandelt. Im gut benoteten Schulaufsatz wird auf Rechtschreibung, Grammatik und Zeichensetzung geachtet. Später darauf, ob die Aufgabenstellung erfüllt wurde. Und selbst in den 10. Klassen eines Gymnasiums, wenn verschiedene Genres auf dem Lehrplan stehen, u.a. das journalistische Schreiben, werden zwar rhetorische Figuren behandelt – nur – selten in Hinblick auf ihre praktische Anwendung.
Sie möchten ein amüsant-abschreckendes Beispiel „komplizierten und unverständlichen“ Sprechens hören (die rhetorische Figur, die Loriot hier zur Anwendung bringt, heißt „Anakoluth“)? – Hören Sie hier hinein.
Ich fasse jetzt die ähnlichen Eigenschaften aus der obigen Tabelle zu vier größeren Komplexen zusammen. Diese machen unsere Merkmale der Verständlichkeit aus. Es sind
- Einfachheit
- Gliederung – Ordnung
- Kürze – Prägnanz
- Anregende Zusätze
Sehen wir uns die Punkte im Einzelnen an.
1.1 Einfachheit
Einfachheit bezieht sich auf meine Wortwahl und den Satzbau, also auf die sprachliche Formulierung: ich verwende geläufige, anschauliche Wörter und füge sie zu kurzen, einfachen Sätzen zusammen. Will und muss ich schwierige Wörter (Fremdwörter, Fachausdrücke) benutzen, erkläre ich sie. Dabei kann der dargestellte Sachverhalt selbst einfach oder schwierig sein – es geht um die Art der Darstellung.
2.1 Gliederung – Ordnung
Dieses Merkmal bezieht sich auf die innere Ordnung und die äußere Gliederung eines Textes.
Innere Ordnung: Meine Sätze stehen nicht beziehungslos nebeneinander, sondern ich beziehe sie folgerichtig aufeinander. Informationen biete ich in einer sinnvollen Reihenfolge dar.
Äußere Gliederung: Der Aufbau des Textes wird sichtbar. Zusammengehörige Teile gruppiere ich übersichtlich, z.B. durch überschriftete Absätze. Mit Vor- und Zwischenbemerkungen gliedere ich den Text. Wesentliches unterscheide ich von weniger Wichtigem sichtbar, z.B. durch Hervorhebungen oder durch Zusammenfassungen.
3.1 Kürze – Prägnanz
Bei diesem Merkmal geht es um die Frage: Steht die Länge des Textes in einem angemessenen Verhältnis zum Informationsziel? Eine knappe, gedrängte Ausdrucksweise bildet das eine Extrem, eine ausführliche und weitschweifige das andere. Weitschweifigkeit beruht u.a. auf der Darstellung unnötiger Einzelheiten:
- überflüssige Erläuterungen
- breites Ausholen
- Abschweifen vom Thema
- umständliche Ausdrucksweise
- Wiederholungen
- Füllwörter und leere Phrasen
4.1 Anregende Zusätze
Dieses Merkmal bezieht sich auf „Zutaten“, mit denen wir als Schreiber oder Redner bei unserem Publikum Interesse, Anteilnahme, Lust am Lesen oder Zuhören hervorrufen können. Zum Beispiel:
- Ausrufe
- wörtliche Rede
- rhetorische Fragen zum „Mitdenken“
- lebensnahe Beispiele
- direktes Ansprechen des Lesers
- Auftretenlassen von Menschen
- Reizwörter
- witzige Formulierungen
- Einbettung der Information in eine Geschichte
Nun erwacht unweigerlich die Frage nach dem richtigen Verhältnis dieser vier Merkmale. Dabei sind sie zunächst einmal ziemlich unabhängig voneinander. Ist ein Text z.B. einfach, so sagt das noch nichts über die anderen Merkmale aus. Er kann z.B. gut gegliedert und sehr weitschweifig oder ungegliedert und sehr kurz sein usw.
Nicht vollständig unabhängig voneinander sind allerdings die Merkmale Kürze – Prägnanz und Anregende Zusätze. Denn Anregende Zusätze verlängern einen Text. Der Sprecher oder Schreiber befindet sich in einem Konflikt: Kürze oder Anregung? Ein Ausweg könnte sein, dass wir die Anregenden Zusätze selbst so kurz wie möglich und ganz auf das Informationsziel hin ausgerichtet halten.
Unsere Kunst wird sein, unseren persönlichen Stil aus der „richtigen“ Mischung zusammenzufügen. „Kann man das lernen?“ wurde ich gefragt. Aber natürlich! Jeder kann lernen, sich verständlich und interessant auszudrücken. Dazu muss er sich nur die angemessene Zeit nehmen, a) eine Selbstanalyse zu betreiben und b) seine Wahrnehmung zu schärfen.
Ich habe hier Aufgaben zusammengestellt, an denen Sie sich üben können.
Schauen Sie sich die folgende Liste an! Jede Eigenschaft in dieser Liste gehört zu einem der vier Merkmale (oben 1.-4.). Aber zu welchem? Das herauszufinden ist Ihre Aufgabe. Dazu können Sie sich die angehängte Datei ausdrucken.
Das Beispiel am Anfang der Liste zeigt Ihnen, wie Sie es machen sollen: Die Aussage „Viele Fremdwörter“ charakterisiert das Merkmal „Einfachheit“, und zwar in negativer Weise. Denn Fremdwörter sind ungeläufige Wörter, Einfachheit ist aber durch „geläufige Wörter“ gekennzeichnet. Darum steht hinter „Viele Fremdwörter“ die Ergänzung „Einfachheit -„.
Machen Sie es nun ebenso für die übrigen Eigenschaften. Schreiben Sie (natürlich nicht auf den Monitor ;-)) hinter jede das Merkmal, zu dem sie gehört, und geben Sie mittels ,,+“ oder ,,-“ an, ob eine Aussage ein Merkmal in positiver oder negativer Weise charakterisiert. Die Auflösung finden Sie in einem zweiten PDF.
Diese Eigenschaft gehört zu | diesem Merkmal +/- |
Beispiel: Viele Fremdwörter | Einfachheit – |
1. Wichtige Sachen sind gut hervorgehoben | |
2. In dem Text sind kurze, anregende Vergleiche | |
3. In dem Text geht alles durcheinander | |
4. Sehr abstrakt | |
5. Nichts ist überflüssig | |
6. Der Rote Faden bleibt immer sichtbar | |
7. Man langweilt sich beim Lesen | |
8. Das hätte man kürzer bringen können | |
9. Im Text sind kurze Beispiele | |
10. Der Autor weicht nie vom Thema ab | |
11. Der Leser kann jeden Satz gut verstehen | |
12. Man weiß nicht, was man sich einprägen soll | |
13. Der Text enthält wörtliche Rede | |
14. Viele Nebensätze | |
15. Alles kommt schön der Reihe nach | |
16. Manches hätte man weglassen können | |
17. Viele Fachausdrücke | |
18. Viele Füllwörter | |
19. Komplizierter Satzbau | |
20. Manchmal weiß man nicht, wie das in den Zusammenhang passt |
Wenn Sie das üben und beherzigen, werden Sie nie wieder zu den Menschen gehören, die sich unverständlich ausdrücken. – Es sei denn… sie brechen absichtlich mit den Empfehlungen. Dazu aber muss man wissen, wie es auch anders geht.
Wer weiterlesen möchte, kann dies in dem Buch von Schulz von Thun & Langer & Tausch – „Sich verständlich ausdrücken“ (ISBN-13: 978-3497022052) tun.
Außerdem haben Sie mich und können mich dazu befragen. Wir lesen uns.