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SCHWIERIGE HEIMATEN

„Solange man begehrt, lebt man in der Unterwerfung, ist man der Welt ausgeliefert; sobald man zu begehren aufhört, genießt man die Vorrechte eines Gegenstandes und eines Gottes … man hängt von niemandem mehr ab.“ — Émile Michel Cioran

Schwierige Heimaten gab es immer und wird es immer geben. Stop – nochmals zurück. Rückgefragt: Was ist hier und was heißt schwierig? – Die Heimat oder das Verhältnis der einzelnen Menschen darin zu dieser Heimat? Wie anders ist es zu erklären, dass es immer und überall Exilanten, Auswanderer – heute Migranten genannt – und Asylanten gab und gibt? Es heißt wohl allgemein (habe jetzt keine soziologischen Studien dazu gewälzt, um es zu differenzieren), es wären im Wesentlichen ökonomische, religiöse oder politische (Krieg und Verfolgung eingeschlossen) Gründe, die Menschen dazu brächten, ihr Heimatland zu verlassen, um ihr Leben zu retten und das ihrer Lieben. Andersherum gesagt: Die weitaus meisten Menschen bleiben (ebenfalls vermutlich aus ökonomischen, religiösen und politischen Notwendigkeiten, Vorteilen oder Zwängen) dort, wo sie geboren und aufgewachsen sind.  — Ich betrachte in den nächsten Zeilen das Thema zunächst einmal von außen, und versuche dann die Übertragung.

Also – Warum bleiben Menschen in ihren schwierigen Heimaten, während andere gehen? Hypothese: Weil sie mehr als „dazugehören“ und die Gesetze und Regeln an oberster Stelle mitbestimmen? Weil sie ökonomisch etabliert sind und sich gut und besser arrangieren können als andere? Weil sie sich nach innen zurückziehen und zwischen Innen- und Außenwelt trennen mit der Notwendigkeit, sich nach außen zu tarnen? Weil sie Mitläufer sind, die nicht nur kein Problem  mit den bestehenden Umständen haben, sondern sogar davon profitieren? Oder weil sie zu denen gehören, die die Minderheiten jagen und verjagen?

Wer aber sind die, die gehen, sofern sie gehen können und in Kauf nehmen, eventuell keine Zuflucht und keinen Ort zu finden, an dem sie sich (auch in ihrem Dasein als Individuum) in eigenständiger Existenzsicherung leben können? (Wollen sie das überhaupt?) – Genügend Fragen und Stoff für eine ausführliche Betrachtung, deren letzten Punkt ich in einem Wort zusammenfasse, und über das ich weiter unten sehr kurz schreiben werde: Unterwerfung. Bevor ich dazu komme, will ich doch noch auf drei Termini der offiziellen Welt und ihre Unterschiede zu sprechen kommen. Dazu brauchen wir noch das Wort Diaspora[1], für den Fall, dass es in einem späteren Zusammenhang fällt.

Seit dem späten 19. Jahrhundert wird der Begriff hauptsächlich für religiöse oder ethnische Gruppen, deren Merkmal die Niederlassung fern ihrer traditionellen Heimat ist, verwendet. Menschen also, die in anderen Ländern, vielleicht sogar Kontinenten, und unter anderen Kulturen, Mentalitäten und auch Anderssprachigen leben, und sich dort zu einer Gemeinschaft (sprich einem Kollektiv) zusammenfinden. Diaspora kann übrigens auch eine Minderheitensituation in einem Heimatland bedeuten, z.B. die Minderheitensituation einer Religionsgruppe, ohne dass eine Auswanderung oder Flucht vorliegt oder „geplant“ wäre. Von derartigen Minderheitengruppen hören wir allenthalben; ein Exil ist dies nicht.

Allerdings: Sowohl der Begriff Exil als auch der der Diaspora beschreiben eine geografischer Entwurzelung, sowie emotionale bzw. mentale Zustände, die mit Fragen von Identität und Zugehörigkeit verbunden sind. Festgehalten für später und jetzt: Kollektiv und Individuum. Die Erfahrung eines Kollektivs, fremd und ausgeschlossen zu sein, entspricht – wie gesagt dem Konzept der Diaspora. Das Individuen, das sein Land verlässt, geht ins Exil. Diaspora und Exil ist die Unfreiwilligkeit gemeinsam, mit der Menschengruppen und Individuen in ihre Situation geraten sind. Soweit die offizielle Lesart zu diesem gesellschaftlichen Phänomen.

Anders – so formulieren es Soziologen, die sich mit interkulturellen Belangen auskennen – als für Exilierte stellt das Heimatland für Mitglieder der Diasporen nicht zwangsläufig und sogar selten einen Ort der unmittelbaren physischen Rückkehr dar. Die Rückkehr ins Herkunftsland wird vielleicht nicht gänzlich verworfen, doch sind sich die Mitglieder der einen wie der anderen Diaspora dessen bewusst, dass sich im Herkunftsland nicht nur die Umstände ändern können, sondern sie im Laufe der Jahre diesem Land ebenfalls entfremdet sind. Zwar bildet es immer noch einen wichtigen (geistigen) Bezugspunkt der eigenen individuellen und kollektiven Identität und Zugehörigkeit, doch das ist ein Stand in der Vergangenheit. Nun kann zweierlei geschehen: Die einen schließen sich in der Fremde zusammen, können sich bei freiwilligem Sprachenlernen und Akzeptanz des Fremden im neuen Umfeld assimilieren (dies bis zur Aufgabe auf dem Bestehen der Herkunft) und machen diese „Integration“ zur „Haltung“ ihres Kollektivs. Ein entgegengesetzter Umgang mit der Fremde findet sich bei anderen: sie schließen sich zusammen,  bleiben unter sichüberhöhen, mindestens aber betonen, ihre mitgebrachten Werte, und verschließen sich einer Assimilation an die neue Umgebung. In ihre „Gemeinde“ lassen sie auch die Mitglieder der Umgebungskultur nicht hinein. Beide Formen der Diaspora bilden sich spätestens dann aus – wage ich einmal zu behaupten –, wenn die Kinder derer, die in ein fremdes Land eingewandert sind, heranwachsen. Der Grad der Assimilation bzw. Nicht-Assimilation ist dann Merkmal für die Offen- oder Geschlossenheit eines solchen Kollektivs. Wohlgemerkt: Vor dem Hintergrund der Entscheidung, im Land der Auswanderung zu bleiben. Und immer bedacht, dass es sich um ein Kollektiv handelt, dem sich ein Einzelner (meistens aus Gründen der Vertrautheit) unterordnet.

Im Exil lebende Menschen begreifen ihre Situation, selbst wenn sie es prinzipiell ebenfalls langfristig sehen, als temporären Zustand, eine Durchgangssituation. Für sie ist die Heimat ein physischer Ort, kein geistiger oder vorgestellter, an den sie, sobald es die Umstände zulassen (d.h. sobald die für das mehr oder weniger unfreiwillige Verlassen der Heimat verantwortlichen Ursachen beseitigt sind), zurückkehren möchten.[2]

Die Exilanten hängen damit in einer Zwischenwelt. Mehr als die Mitglieder der mehr oder weniger angekommenen Mitglieder der Diasporen, sitzen Exilanten nach wie vor und lange Zeit auf gepackten Koffern und blicken gen Heimat, von der sie sich räumlich trennen mussten. Jeder in einem fremden Land angekommene Heimatvertriebene ist zu Beginn Exilant, manche bleiben es ihr Leben lang, andere begeben sich in ein Kollektiv und geben die Hoffnung auf Rückkehr auf.

„Man kann gewiß sein, daß das 21. Jahrhundert, das weit fortgeschrittener sein wird als das unsere, in Hitler und Stalin harmlose Sängerknaben sehen wird.“ — Émile Michel Cioran

Das 20. und erst recht das 21. Jahrhundert werden heuer – damit sind sie jedoch nicht die ersten – als Jahrhunderte der Migration bezeichnet. Die derzeitigen Flüchtlingsströme haben ihre Ursachen in Krieg, Nationalismus, Armut und Rassismus.[3] Die größte Zahl aufgrund von Flucht entwurzelter ethnischer Gruppen befindet sich in Afrika und bewegt sich in Richtung Norden, wo sie sich ein besseres Leben und Chancen erhoffen. Mit meinen Worten formuliert.

Wir brauchen einen nächsten Begriff: das Asyl. Der Begriff hat einen religiösen Ursprung; von Asylgesetzen und „Freistätten“ steht bereits in der Bibel (Exodus 21, 13) geschrieben. Freistätten waren Orte, an denen keine Blutrache verübt werden durfte; die Regelungen entstammen der Zeit, in denen Stämme (hier insbesondere die israelitischen) noch nomadisch lebten. Europäische Asyle waren später bis zum Mittelalter Orte christlicher Nächstenliebe, meistens im Verbund mit einem Kloster oder einer Missionsstation (daher z.B. das heute noch bestehende Kirchenasyl). Ich springe ein wenig über die Stufen und Länder hinweg: 1905 (genauer: am 11.8.1905) gab sich Großbritannien ein erstes Ausländergesetz (Aliens Act 1905). Hintergrund war, dass das Land sich einem Zustrom größtenteils verarmter Ausländer ausgesetzt sah, die über England in die USA auswandern wollten, aber in Großbritannien strandeten. Man könnte sagen: das Gesetz war dafür vorgesehen, Arme oder Kriminelle an der Einreise ins Land zu hindern und einen Mechanismus zur Abschiebung der Durchgeschlüpften zu schaffen. Andererseits sollte durch dieses Gesetz den vor Pogromen in Russland geflohenen Juden aus humanitären Gründen Zuflucht gewährt werden. Immigranten, die aus Gründen, u.a. einer Anklage oder Bestrafung aus religiösen oder politischen Gründen oder für ein Vergehen politischen Charakters oder der Verfolgung zu entgehen, nach England kamen, sollten nicht zurückgewiesen werden. Asylrecht – ein Kontrollinstrument, das den einen passte, den anderen nicht.

Heute versteht man unter Asyl primär das aus dieser Entwicklung abgeleitete „politische Asyl“, das anerkannten politischen Flüchtlingen[4] gewährt wird. Dabei gibt es unterschiedliche Definitionen, die ich aber hier nicht weiter bespreche.

Gehen wir davon aus, dass jemand, der seine „schwierige Heimat“ verlässt, ein entwurzelter Mensch ist. Vorsichtig. Einwand. Vielleicht hatte er dort nie Wurzeln, weil er in eine Minderheitensituation hineingeboren wurde (was ihm subjektiv unfair erscheint, aber ein Hinweis ist), vielleicht hat er die Wurzeln in sich nicht „gefunden“ oder akzeptiert und sucht im Außen, was er im Innern nicht zu haben meint – in jedem Fall: In der Fremde suchen Unverwurzelte andere Menschen, die sie in ihrer Ausnahmesituation verstehen, weil sie dieselbe Herkunft teilen, oder ihre Sprache sprechen oder etwas von ihrem Heimatland wissen. Wenn man durstig ist, ist man bereits mit sehr wenig Wasser zufrieden und gerettet. In ihrem Unbeheimatetsein werden sich die Menschen gegenseitig Heimat. Je krasser nun die Unterschiede zur aufnehmenden Gemeinschaft sind, je fremder die Sprache, je fremder die Anschauung und Umsetzung der Anschauungen ihnen ist, je höher die Hürden, sich selbst helfen zu können, desto eher werden sie sich aber vom Neuen abwenden und ganz bestimmt sogar Feindbilder aufbauen. Dem Sich-selbst-helfen-Dürfen steht ein nicht weniger wichtiger Faktor zur Seite: das Freiheitsverständnis. Doch ich greife vor.

Ich komme zum „Einzelwesen“, dem das Etikett Exilant anhaftet. Da ist also jemand aus einer schwierigen Heimat in ein fremdes Land gekommen – was passiert mit ihm? – Vielleicht für Männer und Frauen nicht unbedingt identisch in allen Punkten, aber im Allgemeinen können wir fünf Phasen[5] annehmen:

Phase 1 ist die Phase der Desorientierung, in der der Exilant mehr oder weniger geordnet im neuen Land angekommen ist und nach einer ersten Euphorie des „Gerettetseins“ die Hoffnung verspürt, wieder in sein Land zurückkehren zu können. Je mehr Zeit allerdings vergeht, desto weniger Hoffnung auf ein Ende der Vertreibung bleibt ihm. Enttäuschung und Verzweiflung wachsen. Die Menschen finden sich ohne Sprache, ohne Adressaten in einer Welt, die ihre Werte nicht teilt, man verliert sich als Person. Diese Phase machen übrigens auch Menschen bei Auslandsaufenthalten durch. (Ich erinnere mich sehr genau der ersten Woche, die ich in China unter den fremden Dozenten und Studenten an der mir gänzlich unbekannten Universität verbrachte. Mit der Aussicht aber, nach einem halben Jahr wieder gehen zu können, gibt sich die Desorientierung bald.)

Phase 2 geht einher mit Klagen und Hilferufen. Keine Arbeit, keine sinnvolle Tätigkeit, keine Routine, die den Tag strukturiert – wer nicht klagt, beginnt vielleicht zu schimpfen und zu rasen. Insbesondere Schriftsteller im Exil leiden unter der „Wertlosigkeit“ ihrer schöpferischen Arbeit, darüber legen eine ganze Reihe von Schriftstellern Zeugnis ab. Ihre ersten „Exilwerke“ nicht selten Publikationen der „antwortlosen Rufe nach Anerkennung“, das Sich-Drehen um die eigene Not. 

Phase 3 ist eine Phase der Nostalgie. Sie beginnt, wenn klar ist, dass man sobald nicht das Gastgeberland verlassen wird. Ab jetzt wird die Heimat zu einem Land der schönen Erinnerungen, d.h. die Vergangenheit wird schöner imaginiert als sie tatsächlich war. Die Kindheit, die man möglicherweise dort bis zu ihrem Ende verbracht hat, ersteht in frohen Erzählungen und in farbigen Bildern. Im Exil – so schreibt es ein Schriftsteller – werde man wieder Kind[6]. Es scheint mir ein wenig zu sein, wie bei älter werdenden Menschen und besonders nach Schicksalsschlägen: der Weg zur Ich-Werdung wird noch einmal betrachtet, um einen Bezug zur Gegenwart zu finden, und die entstandene Lücke zu überbrücken. In der Zeit der Kindheit gehören wir nicht „uns“, wir sind noch mit den Eltern und den Voreltern verbunden, ihre Geschichte ist noch unsere. Gehen wir zurück, finden wir in den Schoß einer noch so kleinen Geborgenheit zurück. Glauben wir.

Phase 4 löst die kürzer oder länger dauernde „Selbsttäuschungsphase“ ab, und es kommt zur Selbstentfremdung. Oft gesehen in Deutschkursen. Die Erwachsenen, die eben noch einigermaßen beseelt und von den „Kindheitserinnerungen“ getragen in den Unterricht kamen, strandeten in Lernblockaden. Sprache ist identitätsaufbauend, und ihnen wurde bewusst, dass ihnen ihre Sprache und damit das fehlte, was sie ihre Identität meinten. Es stellen sich in dieser Phase Zweifel darüber ein, ob es richtig war, gegangen zu sein. Die Frage danach, ob der Schritt wirklich zwingend war, ob man nicht hätte ertragen müssen, um etwas an den Umständen zu ändern – dort?! Das Erlernen der neuen Sprache verdrängt andere bereits gelernte Sprachen. Wie oft haben meine Schüler gesagt, sie hätten über dem Deutschen nun das Englisch vergessen. Ein hoher Preis, befürchteten sie, denn Englisch als ihre zweite Sprache habe sie lange begleitet. Es kann sein, dass die neue Sprache – in diesem Fall Deutsch – vehement abgelehnt wird, was sich darin ausdrückt, dass die Schüler die Intonation, die Satzmelodie, überhaupt die Aussprache (deren Erlernung ohnehin ab einem höheren Alter Grenzen gesetzt sind) weder hören können noch nachsprechen wollen. Man bleibt in der Fremdheit und stilisiert sich in der Opferrolle. Und dann noch die Erfahrung, dass nun sogar in der Muttersprache Lücken auftauchen, Wörter nicht mehr einfallen! Sprachnot hier wie da. Sich in ein anderes Wesen zu verwandeln, ist in dieser Phase die größte Angst. Auch hier sind Zeugnisse in Exilliteratur zu finden: die Auseinandersetzung mit dem Verlust der Sprache als Selbstausdruck.

In Phase 5 – der der Selbstfindung – kann sich das Ganze zum Guten wenden: Kann. Sofern – und damit komme ich wieder auf die Diaspora zu sprechen – man sich nicht in ein geschlossenes Kollektiv, in dem die Werte der Heimat hochgehalten und überhöht werden, begibt, werden die neue Umgebung und die neue Sprache nun zur Bildung einer erweiterten Identität herangezogen. „Jede neue Sprache ist eine neue Seite der Persönlichkeit“ heißt es – und es entdecken sich bisweilen wirklich bisher unbekannte unausgegraben-verschüttete Seiten. Ich unterrichtete Schüler, die auf Deutsch zu schreiben begannen und sich von den zu fesselnden Regularien ihrer Muttersprachen befreiten, wiewohl die deutsche Sprache ihnen dann andere auferlegte. (Ein English-Native-Speaker sagte mir einmal, Englisch öffne Türen, die deutsche Sprache aber schließe sie. – Nehmen wir es einmal wertfrei.)

Am Ende des Traumas der Entwurzelung aus der physischen schwierigen Heimat kann im Durchlauf solcher Phasen durchaus ein nicht lediglich adoptiertes Selbstbild stehen. Und ich verwende absichtlich „Selbstbild“, diesen psychologischen Begriff, dem die Vorstellung von sich selbst anhaftet, während das Selbst nicht zwangsläufig erkannt sein muss.

„Nur der Schriftsteller ohne Leser kann sich den Luxus leisten, aufrichtig zu sein. Er wendet sich an niemanden, höchstens an sich selber.“ — Émile Michel Cioran – Die verfehlte Schöpfung

Bis jetzt habe ich von der physischen und äußeren Heimat geschrieben. Jetzt komme ich zur inneren Heimat. Auch die kann schwierig sein. Wenn wir Horoskope zu lesen vermögen, lesen wir von inneren Heimaten – das sowohl bei Ereignissen, Vorgängen wie auch Personen.

Oben habe ich angedeutet, dass ich auf die „Unterwerfung“ kommen werde. – Wer aus seiner inneren Heimat vertrieben ist, muss sich und wird sich den äußeren Regularien unterwerfen. Da steckt sie. Wer sich in seiner inneren Heimat findet und dort steht – und das selbst bei einer sehr schwierigen – braucht kein „Bild von sich“, oder ein Imago oder ein Bild, das die anderen in ihm sehen, also ein Fremdbild, an dem er sich orientiert. So eigentlich könnte ich den gesamten Text zwischen dem Beitragstitel und diesen Zeilen, die Sie gerade lesen, streichen. Es sind Erklärungen der äußeren Welt.

Andererseits – ich lasse alles stehen. Wenn ich in unsere derzeitigen Zeiten und ihre Ereignisse schaue, ist mir, als sähe ich überwiegend Menschen, die aus ihrer inneren „schwierigen“ Heimat vertrieben sind. Solche Menschen sind lenk- und manipulierbar. Deutschland – ich kann eigentlich auch nur für den Ausschnitt sprechen, den ich überschaue – ist eine sehr schwierige (äußere) Heimat geworden. Schon länger, nicht erst seit gestern. 

Ob die Menschen ein äußeres Asyl finden oder als Exilanten in ihrer inneren Welt vor allem in der äußeren um sie herum weiterleben, ist ansatzweise ebenfalls eine Angelegenheit von 5-Phasen – Selbstentfremdung inklusive. (Die Ausarbeitung kann jeder für sich vornehmen.) Dazu muss aber erst einmal erkannt werden, wie „schwierig“ diese innere Welt ist, wie weit sich jemand bereits dem Diktat der äußeren Heimat in ihren vielen Facetten unterworfen hat, die er für selbstverständlich hält. Und dabei seine innere Welt verrät. 

 

[1] Darüber geschrieben ist auch in folgendem Buch: Das LETHE-Konzept – ein ganzheitliches Konzept für den systematischen Lese-Schreib-Sprechaufbau in der Sprache Deutsch unter Einbeziehung und Berücksichtigung kognitiver wie persönlicher Entwicklungen, Seifferth & Afshar, 2016

[2] Halleh Ghorashi (2003): Ways to Survive. Battles to Win, New York, S. 133ff und Ruth Mayer (2005): Diaspora. Eine kritische Begriffsbestimmung, Bielefeld. Beide schon älter, deshalb einige Entwicklungen der letzten Jahre entbehrend.

[3] Über die noch andere Situation des neu auftretenden Phänomens der Klimaflüchtlinge (Migration aus Gründen des Klimawandels) schreibe ich an anderer Stelle.

[4] Und der entscheidende Punkt ist, auf welchem Wege diese Anerkennung erreicht wird.

[5] Vgl. u.a. E. M. Cioran: Dasein als Versuchung, Stuttgart 1983 und vgl. auch die 5 Phasen zur Bewältigung von Lebenskrisen gem. Elisabeth Kübler-Ross.

[6] Mahmood Falaki: Klang aus Ferne und Felsen (Gedichte). Sujet Verlag, Bremen 2008, S. 39.

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