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ICH WERDE ES TUN

Ich werde es tun. Gestern ist mir klar geworden, dass ich es tun werde, und heute Morgen habe ich zwei Handys mit Prepaidkarten gekauft. Beide werde ich wegwerfen, sobald meine Mission erfüllt ist. Es klingt nach Verschwendung, dass ich sie nach nur einem Anruf wegwerfen werde, aber ich werde danach keine Verwendung mehr für sie haben. Meine Mission. Noch vor einer Woche hätte ich Leute ausgelacht, wenn sie mir gesagt hätten, ich würde bald so etwas wie eine Mission haben.
Die Handys liegen vor mir auf dem Tisch. Eins ist purpurrot und zuklappbar, das andere anthrazitfarben mit einem großen Display und zwölf quadratischen Tasten darunter. Ich habe absichtlich nicht zwei gleiche gekauft, denn sie sollen völlig unterschiedliche Zwecke erfüllen.
Das rote habe ich „Liebe“ getauft. Es liegt links vor mir; das dunkelgraue heißt „Prophezeiung“ und liegt rechts. Entscheidend bei meiner Namengebung waren die Nummern. Liebe hat eine Nummer, die sehr viele Fünfen enthält und Prophezeiung eine mit vielen Siebenen. Die Quersummen ergeben einmal 4 und einmal die 1. Sie soll meine Botschaft in jeder Hinsicht verstehen, denn sie wird natürlich die Nummern auf ihrem Display sehen!
Vor die Handys habe ich Notizzettel gelegt, auf die ich seit heute Mittag alles schreibe, was ich sagen möchte. Ich will nichts dem Zufall überlassen. Und ich werde heute Nacht anrufen. Da wird sie schlafen und ich kann auf ihren Anrufbeantworter sprechen, ohne Gefahr zu laufen, dass sie abnimmt. Wenn sie morgen früh aufwacht, wird sie die Botschaften finden und sich wundern. Und das soll sie: sie soll sich wundern.
Das mit dem AB habe ich recherchiert. Noch vor einem halben Jahr hatte sie keinen, aber jetzt springt nach viermaligem Klingeln der Anrufbeantworter an.
Kurzzeitig habe ich in Erwägung gezogen, einen Stimmenverzerrer einzusetzen, danach habe ich daran gedacht, zwei SMS zu schicken, die bei Abruf von einer Computerstimme vorgelesen würden. Das hätte den Vorteil, dass ich sie vorbereiten und zum ausgewählten Zeitpunkt mit nur einem Knopfdruck abschicken könnte. Ich habe das mit einer SMS an mich selbst ausprobiert, es geht. (Habe dafür jedoch weder Liebe noch Prophezeiung genommen!) Aber dann habe ich das verworfen, weil ich doch nicht weiß, was für einen Apparat sie zuhause hat. Ich werde selbst sprechen. Ich – mit meiner Stimme.
Ich muss es deshalb heute Nacht tun, weil heute Uranus über die 0 Grad Widder läuft. Wir gehen in eine neue Zeit. Sie wird meine Botschaft verstehen, denn sie war lange Zeit meine Lehrerin in all diesen Dingen.
Vor sechs Monaten habe ich zum letzten Mal mit ihr geschrieben. Zuvor hatten wir uns getroffen, aber da war vieles schon anders geworden. Ich hatte ihren Abstand gespürt, ihr Missfallen. Auf unser Treffen hin kam eine Mail: „Es ist besser, wenn sich unsere Wege jetzt trennen.“ Und: „Wohin du gehst, kann ich dir nicht folgen.“ Ja, sie war meine Lehrerin, hat mich mir selbst erklärt. Und als ich dann ich war, hat sie mich nicht mehr gemocht. Bei den allerersten Schritten in mein neues Leben hat sie mich abgestraft und weggeschickt.

Ganz zu Beginn, nachdem wir uns näher kennen gelernt hatten, miteinander Kaffee trinken oder Eis essen gingen, hatte ich mir eine Wohnung gekauft (eine gute Anlage fürs Geld), mich von meinem Ehemann getrennt, und angefangen, für mich und mein Wohlergehen zu fordern, genau wie sie gesagt hatte.
Hier habe ich noch eine Karte. Habe sie heute Morgen wiedergefunden. Sie zeigt Blumentöpfe im Garten. Es ist ein verwilderter Garten mit Strauchwerk; ein Plattenweg, der halb überwuchert ist, führt quer über das Bild, und an diesem Weg stehen die drei Blumentöpfe. Tönerne Frösche sitzen in den Töpfen, sie tragen Kronen. Froschkönige sollen es sein – und die muss man bekanntlich küssen, damit sie richtige Könige werden. Keiner der Frösche, die ich geküsst habe, ist König geworden, und das war mein Problem. Ich wollte lernen, wie ein König König wird und wie ich Königin werden kann. Ich hatte zwei von den Karten gekauft und ihr eine geschenkt.
Danach waren wir den Königen in uns auf der Spur. Erst fiel mir das schwer, aber dann machte ich Fortschritte. Ich bin weit gekommen, wirklich weit.
Liebe und Prophezeiung sind aufgeladen und bereit. Die Sonne wandert, während ich hier sitze, von links nach rechts. Im Moment fallen ihre Strahlen auf die beiden Handys. Liebe leuchtet. Was für ein schönes Handy. Prophezeiung ist düster; mit den großen Tasten und dem dunklen Display sieht es aus wie ein Maul mit vielen Zähnen. Ich habe keine Klingeltöne eingestellt, denn niemand wird mich jemals auf diesen Handys anrufen. Sie haben verschiedene praktische Funktionen, ich habe mir einige davon angesehen. Liebe hat beispielsweise eine GPS-Funktion – eine global positioning function. Das ist praktisch, denn damit könnte ich immer genau die geographischen Koordinaten meines Aufenthaltsortes ablesen. Aber ich brauche Liebe nur für einen Anruf, und die Koordinaten des Ortes, den ich anrufen werde, kenne ich: 49° 56′ N, 6° 38′ O. Prophezeiung ist ein Outdoor-Handy. Mit ihm könnte ich auch im Regen telefonieren. Werde ich aber nie, denn auch Prophezeiung hat nur einen einzigen Einsatz vor sich. Wirklich Verschwendung.
Ich muss nicht mehr überlegen, ob ich heute Nacht von Zuhause aus telefoniere, oder ob ich mit dem Auto fahre. Ich habe beschlossen, dahin zu fahren, wo ich sie das letzte Mal getroffen habe. Auf diese Weise ist es auch einfacher, die Handys gleich wegzuwerfen, denn ich möchte sie danach nicht mehr in meiner Nähe haben – meine Mission ist dann erfüllt. Morgen früh wird der erste Tag meines neuen Lebens sein, da lasse ich das alte hinter mir.
Ja, ich werde mit dem Auto fahren. Und die Handys sollen auf keinen Fall bei mir gefunden werden. Ich ziemlich sicher, dass sie die Anrufe wird zurückverfolgen wollen. Es ist sogar zulässig: §§ 100 g, 100 h StPO – Auswertung von Telekommunikationsverbindungen – ich hab mich schlau gemacht. Als meine Mitbewohnerin damals mein Handy benutzt hatte, was ich nicht hatte wissen können, hat die Polizei es bei ihrer Verhaftung beschlagnahmt. Ich wurde der Mittäterschaft verdächtigt. Und siehe da: sie fanden einen wichtigen Anrufer und eine angerufene Nummer über mein Handy! Ich musste zwei Nächte auf dem Präsidium bleiben, obwohl ich doch nur mit der Schlampe zusammenwohnte, nichts weiter. Schließlich mussten sie mich gehen lassen. Auffällig verhalten und verraten hatte ich mich aus einem anderen Grund.
Ach, meine Liebe, du hast es mir damals gesagt. Ich weiß. Das sage ich zu dem roten Telefon und meine damit sie. Liebe bleibt stumm, blinzelt in der Sonne. Ich hatte mich in allerlei eingelassen. Das gehörte zum Ausprobieren. Und dann fand ich mich verprügelt und ausgeraubt wieder, und stand an einem Samstag Abend vor meiner Wohnung, und der Schlüssel passte nicht.
Nein, Liebe, so geht das nicht! Aber die Polizei hat mir nicht geglaubt, weil ich angetrunken war. Strafanzeige? Fehlanzeige!
Was sagst du dazu, Prophezeiung? – Hätte ich etwas anders machen können? – Lass den Mann. Aber… Nichts aber… ein Mann, der einmal eine Frau schlägt, schlägt immer wieder. Nachdem wir den Brief an den Anwalt aufgesetzt hatten, hat der Rechner alles gelöscht. Weg waren drei Stunden Ringen um Worte und um Erinnerung. Zeugen? Keine Zeugen. Ich hatte nichts, womit ich beweisen konnte, was geschehen war, und ich war unglaubwürdig wegen dieser Mitbewohnerin.
Man verlässt einen Mann nicht einfach, nur weil er Pech hat. Das ist der schlechteste Moment, jemanden zu verlassen. Wenn er doch Hilfe braucht. Mike hatte gerade sein Geschäft verloren und seine Wohnung obendrein. Redete von Brücken und von Autos, die gegen Wände führen oder von Pistolen, die man sich kaufen könne – hier bei der örtlichen Mafia oder in den Niederlanden.
Sie hat gesagt: Er wird untergehen – willst du mitgehen? Weißt du, Prophezeiung, sie war manchmal so verdammt trocken. Ich hab mir was anderes gewünscht. Von Mike und von ihr. Aber Mike war kein König und sie war kein Frosch.
Die Sonne ist weiter gezogen. Es ist jetzt genau 18.00 und ich habe noch viel Zeit, und ich muss noch an den Sätzen feilen, die ich Liebe und Prophezeiung in den Mund legen will. Liebe, hilf mir. Ich habe doch die Techniken gelernt, wie ich Liebe rufen kann, wie ich sie mich erfüllen lassen kann, wie sie von unten nach oben fließt und mich schwindlig macht, trunken vor Glück. Wie sie nach außen geht und jeden berührt, der in meine Nähe kommt. Ich habe das gelernt, ja, Liebe, ich habe das gelernt. Mike hat gesagt, er hat sie gespürt, und sie hat ihn getragen. Und dann hat er mir Ringe geschenkt, einen Pelzmantel im Winter, und für uns eine Reise gebucht. Mike konnte doch nichts dafür, dass er kein geborener König war. Das hatte er mit mir gemeinsam.
Ich sehe Liebe an, aber sie antwortet nicht. Ihr purpurrotes Gehäuse glimmt, sie schweigt. Mike und ich kamen von der Reise zurück, schon am Flughafen hatten wir Streit. Es ging um Geld, das er mir geliehen hatte, und nun zurückhaben wollte. Geliehen? Er hatte es mir geschenkt. Ausdrücklich hatte er es mir geschenkt. Am selben Abend – wir waren vielleicht 15 Minuten zuhause – sind ein Tisch und zwei Gläser zu Bruch gegangen. Danach rief er seine Kumpel an. Sie trugen Möbel hinaus, von denen er behauptete, es wären seine.
Mir kommt es vor, als würde Prophezeiung blinken. – Ja, was willst du sagen? – Falscher Umgang. Falsche Propheten. Ich hatte sie angerufen und gefragt, ob ich vielleicht bei ihr vorbeikommen könne. Ich konnte nicht allein sein, nicht in dieser Wohnung. Ich fuhr zu ihr und blieb zwei Stunden. Danach fuhr ich durch die Stadt, betrank mich, stand mit dem Auto am Main, bis morgens, bis mir klamm war. Ohne Frühstück fuhr ich zur Arbeit.
Lächelt Liebe etwa? Tatsächlich. Sie lächelt. Ein Lächeln, von dem man mehr haben möchte, obwohl es nicht mitleidig ist. Mitleid hätte ich damals nicht ertragen und ich würde es auch jetzt nicht ertragen. Mitleid ist das letzte, was ich brauche.
Also lächelt sie mitleidlos. Und dann sagt sie: Wann fängst du mit dem richtigen Leben an? – Da musste ich gehen, nach zwei Stunden. Gut, dass ich die Flaschen im Auto unterm Beifahrersitz verstaut hatte. Ja, meine Liebe, Flaschen mit Rotwein so rot wie du.
Ich fand eine Maklerin, die mir einen guten Preis für meine Wohnung machte, und mir auch gleich eine bessere für weniger anbot. Also verkaufte ich die alte und kaufte die neue. Hatte jetzt eine Eigentumswohnung im 8. Stock, mit Wohnzimmer nach Süden. Da habe ich mich schön eingerichtet, habe im Sommer den Balkon mit Hängeampeln und Windspielen dekoriert, habe die Möbel nach Feng Shui ausgerichtet und mich in Farbenlehre eingelesen. Harmonie wollte ich, endlich Harmonie. Ich kaufte ein Klavier, ließ eine Lehrerin kommen. Ich lernte Klavier spielen und ein wenig singen. Meine Stimme zu hören tat gut. Ich machte wirklich Fortschritte. Ja, Prophezeiung. Ich machte Fortschritte. In der Arbeit wurde ich selbständiger, kannte meinen Wert, konnte Preise bestimmen. Ich hatte Mitarbeiter, die ich führen musste. Das war schwierig, aber ich glaube, ich habe das gut gemacht. Ich lernte drei oder vier Männer kennen. Es war sogar ein alter König darunter, der mir die Welt zu Füßen legen wollte. Aber neben seinem welken Körper aufzuwachen, war keine Freude. Seine Haut war fleckig und er roch nach Urin. Ich kann doch nicht mit meinem Vater schlafen!
Als Mike zurückkam, war ich ausgehungert, sein drahtiger Körper eine Herausforderung. Er habe sich geändert, sagte er. Ich traf mich mit ihr in einem Café, hatte zwar zwei Termine, aber dazwischen genug Zeit für einen Kaffee mit ihr. Sie hatte seinen Untergang prophezeit. Dass Mike wieder da war und sich geändert hatte, strafte sie Lügen. Das wollte ich ihr sagen.
Sie zuckte die Schultern. Du solltest es besser wissen. Aber gut, du bist ein großes Mädchen, und weißt, was du tust. Wir fahren zusammen nach Afrika. Ja, Liebe, da staunst du, was! Wir fuhren nach Afrika. Er machte Geschäfte dort. Ich habe gesehen, wie gefragt er war. Mike hatte es wieder ganz nach oben geschafft.
Die Handys liegen jetzt im Schatten, die Sonne ist über dem Hausdach von gegenüber verschwunden. Ich wohne natürlich nicht mehr im 8. Stock. Die Wohnung habe ich verkauft, weil ich ja Mike das Geld zurückzahlen musste. Er hatte es mir natürlich nicht geschenkt, und hat es sich über seinen Rechtsanwalt zurückgeholt. Während der Rechtsanwalt den Brief aufsetzte, schlief Mike mit mir. Ich habe mir dann eine kleine Wohnung in der Nähe von meiner Praxis gekauft. Ich brauche die Sicherheit des Besitzens. Ich fühle mich nur sicher, wenn ich weiß, eine Wohnung ist mein Eigentum. Die Wohnung liegt im 2. Stock, und soeben ist die Sonne verschwunden und wird heute auch nicht mehr in mein Zimmer scheinen. Ich habe an den Fenstern, die hohe Fenster sind, weil es sich um eine Altbauwohnung handelt, orangefarbene luftige Gardinen hängen, und deshalb lassen sie den Raum orangefarben leuchten. Jetzt aber wird es schnell dunkel. Drüben im Schlafzimmer habe ich apfelgrüne Gardinen; morgens weckt mich grünes Licht.

Na? Liebe? Fällt dir noch etwas ein, was ich ihr sagen könnte? Sprich mit mir, oder bist du genauso feige wie Mike? Er spricht von Liebe, und sobald er hat, was er will, geht er. Halt mich nicht fest. Wer liebt, lässt frei. Das ist sein Spruch. Und so ließ ich ihn frei, bekam von Freunden zugetragen, wo sie ihn überall gesehen hatten, und mit wem. Einmal, nur einmal, habe ich mich hinreißen lassen und bin ihm nachgefahren. Ich stellte ihn zur Rede, forderte, wie ich es inzwischen gut konnte. Ich hatte ein Recht zu fordern, denn wir waren zusammen, ich hatte ein Recht! Er lachte, schmeichelte, legte den Kopf schief, berührte mein Kinn mit seinem Daumen. Niemand konnte das so gut wie er.
Mein Auto brachte er drei Tage später zurück. Er habe es für Geschäfte gebraucht, und seins sei in der Reparatur gewesen. Am vierten Tag stand die Polizei vor der Tür und nahm mich vor den Augen der Nachbarn mit. Sie hatten wirklich schnell gearbeitet, aber so schnell sie auch waren – ihn fanden sie nicht. Diesmal hatte ich ein Alibi! Sie war mein Alibi.
Ich war zu ihr gelaufen, er hatte ja mein Auto genommen. Dieses Mal war ich über Nacht geblieben. Vorbei. Hatte ich gerufen. Jetzt ist es vorbei. Ich tobte sogar vor Wut. Jetzt ist es endgültig vorbei. Du solltest zur Polizei gehen. Das sieht nicht gut aus, melde deinen Wagen als gestohlen, geh zum Revier. Er hat was vor! Kommst du mit? Gehst du mit mir in die Wohnung? Wollen wir in die Kneipe unten gehen? Nein, ich gehe nirgendwohin mit dir. Du hast dich in diese Lage gebracht, mach also selbst erst reinen Tisch. Je eher du das tust, desto besser. Ich warte hier.
Und dann erzählte sie mir was von Fäden, in die ich mich verstrickt hätte, von Fehlern, die man sich eingestehen, von Wegen, die man zurückgehen müsste, solange es noch ginge, um an jene vorausgegangene Weggabelung zu kommen, an der man dann den anderen Weg nehmen könnte. Ich hasste sie für diese Sätze. Was wusste sie schon! Saß da und redete schlau. Kannte sie mich überhaupt? Komm du erst mal in meine Situation! Da war wieder dieser Blick. Mitleidlos, lächelnd. Wir sprachen danach noch bis um drei oder vier morgens, aber nicht mehr über Mike und das Auto. Wir sprachen darüber, dass ich ganz neu anfangen wollte, diesmal wirklich neu. Ja, Liebe und Prophezeiung, ich höre mich sagen: ich bin ganz nah dran, Königin zu werden. Erinnerst du dich an unsere Frösche? Ich werde jetzt erst meine innere Mutter, dann meinen inneren Vater und dann mein inneres Kind finden. Das bin ich. Kurz danach machte sie mir ein Bett, ich heulte mich in den Schlaf. Morgens ging ich, bevor sie wach war. Die Bettlaken legte ich säuberlich aufeinander, das Kissen obenauf. Sie war ordentlich, das wusste ich. Sie würde es mögen. Mir aber wurde übel von dieser Ordentlichkeit.
Ich traf sie danach noch einmal. Und dann kam die Mail: „Es ist besser, wenn sich unsere Wege jetzt trennen.“ Und: „Wohin du gehst, kann ich dir nicht folgen.“ Das ist jetzt sechs Monate her. Ziemlich auf den Tag genau.
Ich habe immer noch keine klare Idee, was ich ihr aufs Band sprechen werde. Ich nehme Liebe in die eine und Prophezeiung in die andere Hand. Sie haben unterschiedliche Gewichte, Liebe ist leichter. Das ist interessant. Und dann lege ich beide wieder ab, aber Liebe nach rechts und Prophezeiung nach links. Vielleicht geht es so. Ich könnte auch, um die Zeit zu überbrücken, Karten legen. Die könnten mir einen Hinweis geben. Darauf, was ich sagen werde, und darauf, was geschehen ist. Die Tarotkarten liegen drüben im apfelgrünen Licht in der Schublade des großen Schranks. Um dorthin zu gelangen, müsste ich über Mike steigen. Der liegt seit zwei Tagen da. Er war zurückgekommen, hatte sich in der Tür stehend entschuldigt, und ich hatte ihn hereingelassen.
Keine gute Idee, Prophezeiung. Im Schlafzimmer ist zu viel Blut. Und ich kann mich nicht überwinden, es aufzuwischen. Mike liegt mitten im Weg, genau an der Stelle, an der er stand, als er nach meinem Arm gegriffen und mit seinem anderen ausgeholt hatte, um mich zu schlagen. Drei, vielleicht viermal, hab ich das Messer in ihn rein gestoßen und wieder herausgezogen. Er blickte ungläubig, während er an mir vorbeifiel.
Ich bin rausgegangen. Ich mag kein Blut, und was da aus ihm herauslief, war mir zuwider. Deshalb kann ich jetzt auch nicht über ihn rübersteigen, obwohl es schon geronnen ist. Vorletzte und heute Nacht habe ich in der Küche am Tisch geschlafen. Da waren Liebe und Prophezeiung noch nicht da – ich habe sie ja erst heute Vormittag gekauft.
Liebe, du blinkst, was willst du sagen? Ach, Pluto – Pluto Quadrat Uranus haben wir heute. Stimmt. Das haben wir seit einigen Wochen. Da kocht allerhand hoch, da gibt es Verwerfungen, Erdbeben. Wenn das Angestaute, das, was Angst macht, ausgelöst wird, dann kommt es zu einer Katastrophe. – Schau dir deine Demütigungen an, schau dir an, wo du dich täuschst. Wo und wann hast du dich täuschen lassen? Wie ist das mit dir als Frau? Das tut weh, nicht wahr? Du wirst enttäuscht werden – und weißt du – das kann sogar eine Erleichterung sein. Das kann den Durchbruch zu deinem Leben bedeuten, zu deinem richtigen Leben, in dem du Unterdrückung und Verhinderung erkennst. Aber Liebe, sag mir, wie ich das leben soll. Was soll ich denn machen? Du musst zusammenbrechen. Prophezeiung, rede nicht dazwischen. Lass Liebe ausreden.
Aber jetzt sind beide still. Ich hasse sie. Sie hat mir all das eingebrockt. Sie hat mir nicht gesagt, dass ich unschuldig bin. Sie hat mir nicht gesagt, dass ich das Opfer bin. Ich bin das Opfer. Mike ist ein Täter, und es richtig, dass er da drüben auf seinem Gesicht liegt.
Ich werde jetzt die beiden Handys nehmen und zum Auto gehen. Ich werde hinter mir die Tür zuziehen und nicht wieder zurückkommen. Ich werde meine beiden Anrufe tätigen. Ich habe mir einen Wecker gestellt – den darf ich nicht vergessen mitzunehmen. Und wenn die Zeit ist, anzurufen, werde ich es tun. Hass ist schöner als Liebe. Das wird Liebes, und Wir sehen uns beim Jüngsten Gericht wird Prophezeiungs Auftritt sein. Und dann werde ich beide Handys wegwerfen und mit dem Auto gegen die Wand fahren. Unten am Osthafen, wo ich mich heute Mittag schon umgesehen habe. Ja, so werde ich es machen.

aus: Azraels Erzählungen, 2011

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