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FRAU DOKTOR ERWARTET (NICHT) DIE ERLÖSUNG

Das wird einigen nicht gefallen, was ich hier schreibe, aber sei es drum. Muss ja keiner lesen und jeder kann sich nach den ersten Sätzen ausklinken. Vielleicht jetzt. Deshalb mache ich einen Absatz – mit einem Bild darin.

Neptun-Jupiter-Konjunktion. Sind hier Astrologie-Unkundige? Ich erkläre es gleich. Warten Sie einen Moment. Neptun-Jupiter-Konjunktionen gibt es alle 13 Jahre. In diesem Jahr 2022 wird am 13.4. ein neuer Zyklus in den Fischen anfangen, er löst den von 2009/2010 (einmal rücklaufend, dann direktläufig im Wassermann) ab. Davor gab es eine Konjunktion – ich schaue nur überschlägig – im Jahr 1997 (im Steinbock), davor … und so weiter. 1971 war ein Jupiter-Neptun-exakt-Konjunktion-Jahr (im Skorpion), desweiteren mein Geburtsjahr 1958. Ja, auch 1984, genau am 19.1. gab es eine exakte Jupiter-Neptun-Konjunktion auf 0° Steinbock. Solche Konjunktionen kündigen sich an, wenn der schneller laufende auf den langsameren Planeten zuläuft, und sie haben Nachwehen, wenn er sich wieder entfernt.

Im Winter 1983 ging es mir – nur ein paar Einzelheiten – richtig ans Eingemachte:

Es geht nicht mehr tiefer. Zwar halte ich ein Leben nach außen aufrecht, doch irgendwie breche ich innerlich immer mehr zusammen. Absoluter Rückzug und hoffentlich Neuaufbau sind angesagt. Ich bin zum zweiten Mal in diesem Jahr im Krankenhaus und habe mehr Schwierigkeiten denn je mit den Augen. Sie entzünden sich ständig, und ich kann dann kein helles Licht mehr ertragen. Jeder Lichtstrahl ist wie ein Stich durch die Pupille. Ich laufe mit geschlossenen Augen durch die Wohnung, verdunkle meinen Raum – was gar nicht so leicht ist, denn er fängt geradezu das Sonnenlicht ein. Dafür liebe ich ihn.
Doch das Licht tut mir jetzt einfach nur weh. Ich gelange auf Umwegen zu einem Augenarzt, der mir die Leviten liest. “Kind”, sagt er, “wenn du so weitermachst, kannst du dir schon mal die Brailleschrift beibringen und Kassetten besorgen. So bist du nämlich in zwei Monaten blind.”
Iritis nennt man die akute Erscheinung, aber was sich auf der Netzhaut abspielt, sind Blutungen infolge von Retinopathie. Blindmacher.

Aber das mit den Drohungen kenne ich ja. Als ich krank wurde, hat man mir auch eine “deadline” gesetzt. Da bin ich ja gut in der Zeit … 7 Jahre oder 6 1/2, dann werde ich es geschafft haben.
Ich stimme halbherzig einer Laserbehandlung zu, die notwendig und schmerzhaft ist.
Ich habe keine Träume in dieser Zeit, auch die sind verstummt. Am hellen Tag jedoch habe ich das Empfinden, dass sich eine Schlange in mir erhebt, sich kobragleich aufbläht und zustößt.
Wieder verbringe ich Nächte allein mit einer Kanne Kaffee am Schreibtisch. Ich sollte zum Psychologen gehen, hat mir jemand geraten. Aber das kommt für mich nicht in Frage. Ich analysiere mich selbst. Ich mache alles selbst! Ich mache immer alles selbst.

Ein Beinahe-Koma zwingt mich schließlich dazu, eine wirkliche Entscheidung zu treffen. Es geht um alles. Bin ich für oder gegen das Leben? Und wenn Leben, dann doch ein lebenswertes?! Wann werde ich endlich der Adler sein, und wer ist der Phoenix? Aber es liegt nicht in meiner Hand, irgendetwas zu entscheiden. Das merke ich jetzt nur zu gut. Ich bin am Boden, und wenn ich überlebe, dann ist das Gnade, nicht meine Entscheidung. Mitbewohner bringen mich ins Krankenhaus; sie haben die Tür aufgebrochen und mich ins Auto geschleppt. Ich hatte mich schon hingelegt, um zu sterben.

Ich habe sehr viel später nachgeschaut, und staune: „meine“ Jupiter-Neptun-Konjunktion hat zu dieser Zeit hohen Besuch. Pluto ist da – in Konjunktion. Die äußere Konjunktion des Jahres befindet sich an der Spitze meines 2. Hauses, und erscheint in Form von zwei Erfüllungsgehilfen der Scientologen. Saturn läuft durch das 12. Haus – sie wollen mich „auffangen“, weil ich dabei sei, abzustürzen. Sie spannen ihr Netz und locken mich mit einigen Angeboten, bei ihnen einzutreten. Ich wimmele ihre ständigen Anrufe ab und spreche irgendwann ein deutliches Nein aus.

Sechs Monate später hat Jupiter Neptun längst hinter sich gelassen, und Saturn ist – rückläufig geworden – nochmals ins 11. Haus gewechselt; er nimmt also Anlauf. Pluto hält immer noch den Finger auf den Jupiter-Neptun. Mir kommt diese Konstellation am Himmel immer vor wie ein Loch in der Wolkendecke, durch das ich ins Jenseits blicken kann.  Tatsächlich suche ich in schweren Zeiten den Himmel ab, um es zu entdecken. „Dahinter“ liegt auch tatsächlich etwas; bei diesen beiden „Größen“ unter den Planeten geht es um die Anschauung des Heiligen. Jupiter: Einsicht und Erkenntnis in Außerpersönliches,  die Fülle, die Weite, der wohlwollende Verkünder. Neptun: das Mysterium, das Unfassbare (Ehrfurcht Gebietende), der Eingang ins Geheimnis und die Wahrheit. Also, wenn ich mit diesem Neptun-Jupiter eine Kirche (oder einen anderen Ort, den wissende Menschen nach dem Heiligen ausgerichtet haben) betrete, bleibt mir die Luft weg.

Mitte 1984 – Ein Traum: Wir (irgendwelche Personen, deren Gesichter ich nicht sehe) sitzen und genießen unser gemeinsames Essen. Es gibt Fisch. Plötzlich steht vor mir ein Mädchen auf Krücken und fragt mich bitterböse, ob ich den Friseurtermin vergessen hätte. Vor den anderen ist mir das sehr peinlich, denn ich fühle mich ertappt in meinen Lügen.

Meine alte Persona wird ganz allmählich durch eine neue ersetzt, aber sie gibt nicht kampflos auf. Zu lange habe ich in den Intrigen gelebt. Die neue ruft noch mehr Angst und paradoxerweise noch mehr Leere in mir hervor. Mit was soll das neue Selbst gefüllt werden? Wer sagt mir, dass ich nicht wieder in die Falle einer fixen Idee hineinlaufe? Ich versuche es mit der Flucht in die Tüchtigkeit, aktiviere wieder mal meinen Fleiß und arbeite wie ein Durchlauferhitzer.
Im Studium habe ich endlich erste Erfolge, wenigstens das läuft ganz gut. Ich habe einen alten Professor, der etwas in mir sieht, was ich immer noch nicht zu sehen fähig bin. Er sagt mir mehr als einmal: “Meine liebe Dame, werfen Sie sich nicht weg. Bringen Sie das zu Ende.” Damit meint er das Studium, denn immer, wenn ich wieder nicht weiter weiß, möchte ich alles hinwerfen. Es ist diese alte Selbstverneinungsschiene. Seit der Schulzeit bin ich auf dieser Schiene “Du schaffst das sowieso nicht, es wird dich niemand dafür loben und akzeptieren. Also kannst du es gleich lassen.”
Der alte Professor ist mein Schutzengel. Auf trockene und unnahbare Art schiebt er mich in eine Richtung, die sich erst später für mich als die passende entpuppt. Es ist gut, wenn man im Leben solchen Menschen begegnet, die einem helfen, ohne jemals Bezahlung dafür zu fordern. Das Einzige, was ich dem alten Herrn geben konnte, war mein Versprechen, auf mich aufzupassen.
Beinahe unbemerkt, schleichend, ist eine erste Trennung vom elterlichen Muster geschafft. Ich habe das dringende Bedürfnis, die “Dinge” mit meinen Eltern zu klären. Was habt ihr mir angetan! – Ja, was haben sie mir denn angetan? Haben sie nicht das Beste gewollt unter den Umständen, unter denen sie lebten? Ich fahre wieder häufiger nach Hause. Doch was ich ihnen sagen möchte, möchten sie nicht hören. Wenn ich erzähle, dass ich schreibe, bekommt meine Mutter – berechtigte – Angst, ich würde über sie schreiben. Also muss ich das mit mir abmachen. Wieder mal mit mir allein. Ich träume wenig und schreibe kaum Tagebuch, aber ich höre Musik. Viele Worte sind schon tausendfach gesagt, und das viel besser als ich sie sagen könnte. Manche Zeilen sind so treffend, dass ich fast neidisch werden könnte, sie nicht selbst ersonnen zu haben. Aber ich fühle mich verstanden, und das zählt.

Die kleine Ahnung, dass ich nicht immer so wie ein Ball im Leben umhergeworfen werden werde, keimt, aber noch ist es nur ein Keim, nicht mehr. Zum ersten Mal schaffe ich immerhin, länger mit mir allein sein zu können. Ich muss nicht mehr meine Stunden mit Aktivitäten vollfüllen, die mich am Ende doch nur noch leerer und noch einsamer zurücklassen. Ausgerechnet in diesem Zustand treffe ich einen Mann, der mich ergreift wie einen letzten Strohhalm, und den ich retten soll. Ich? Wie kann ich jemanden retten? Ich lasse mich darauf ein. Aber auch das ist keine Basis. So mancher verwechselt Geliebtwerden mit Gebrauchtwerden, und nimmt das Gebrauchtwerden, wenn er auch ahnt, dass letztlich wieder nicht ihm, sondern etwas anderem in ihm die “Liebe” gilt.
Zum ersten Mal bringe ich eine Sache zuende, indem ich klar und deutlich “Nein” sage. Es gibt ja verschiedene “Neins”: man kann “Nein” zum Leben sagen und trotzdem in seinen Grenzen so verschwommen sein, dass man es nie schafft, den anderen Menschen ein “Nein” zu geben. Jetzt höre ich mich zum ersten Mal “Ja” zum (zu meinem) Leben sagen, und es wächst das “Nein” gegenüber den anderen. Oh ja. Da ist aber was los. Wie kannst du so egoistisch sein? Wieso denkst du nur an dich.
Um Gottes Willen. Verstehen sie denn das nicht. Endlich beginne ich, an mich zu denken, und werde sogleich mit dem Etikett der Egoistin belegt. Eine neue Phase beginnt. Ich befürchte wohl richtig. Trotzdem bleibe ich jetzt für mich. Ende mit den Männergeschichten. Nicht dass ich so viele gehabt hätte, aber jetzt mache ich einen Punkt. Genug der gebrochenen Herzen, genug des Benutzens, genug hippelige dates, mit einem schnellen Ende. Aber eins war dazu noch notwendig: Der Abschluss einer Sache, die nie zu Ende gebracht worden war.

Wenn diese beiden – Jupiter und Neptun – sich (von der Erde aus betrachtet am Himmel) an einem Punkt treffen, geschieht – physikalisch – erstmal da oben nichts. Sie sind Lichtjahre voneinander entfernt. Es ist in uns, was sich von „da oben“ hier unten in uns niederlässt, und es wird von nicht wenigen Menschen als Gläubigkeit gelebt. Jupiter ist der Priester, der Prediger, der den Menschen die Botschaft des Gottes (des All-Einen) bringt. Und wenn es nicht christlich ist, dann ist es eben islamisch oder auch buddhistisch – wie wohl – nein, davon habe ich keine große Ahnung. Auf jeden Fall macht diese Anlage (und das sind Horoskopkonstellationen) einen Menschen geneigt, sich in Situationen von Krankheit, Existenzkrise, Empfinden von Unzulänglichkeit und Schwäche an den Himmel zu wenden, um von dort die „Heilung“ zu erwarten. Im Kleinen wie im Großen.

Dreizehn Jahre später ein nächstes Bild, eine nächste Stufe. Wieder ist im Außen eine Jupiter-Neptun-Konjunktion im An- und Abschwellen. Dieses Mal ist es nicht Pluto, der auf die meine im 11. Haus den Finger legt, sondern es ist Uranus, der die Erschütterung bringt. Saturn treibt derweil seine „Spielchen“ in meinem 4. Haus – und von solchen Dingen träume ich dann.

13.1.97

Es ist Sturm. Wir sind zu zweit. Die andere Person und ich. Wir sitzen in einem Bushäuschen, nicht in einem jener modernen, sondern in einem aus den 70er Jahren auf dem Land: aus Holz, mit einer Bank, und einem Spitzdach. Es scheint das Häuschen an der Haltestelle in Trelde zu sein, in dem wir immer auf den Schulbus nach Buchholz warteten. Wir sitzen nebeneinander, ich rechts und die andere Person links von mir, wir sehen hinaus. Ich komme mir vor wie im Kino und dann wieder wie in einem Wohnzimmer.
Der Sturm ist so stark, dass er das Dach des Häuschens zum Einstürzen bringt. Wir retten uns, bevor alles zusammenbricht.
Aus den Trümmern retten wir auch unseren Tisch. Er hat eine schwarze Onyx-Platte mit Gold-Intarsien. Wir graben ihn unter den Balken hervor und legen ihn frei. Der Sturm ist befriedet.

14.1.97

Ich will ein Haus malen und habe meine Staffelei schon aufgestellt. Das Haus liegt im Tal und ist von meinem Platz aus klar und deutlich zu sehen. Als ich anfange zu malen, kommt ein kleiner Junge, Micki, und erzählt, dass er Vater, Mutter und seinen Bruder nicht mehr finden kann. Ich weiß sofort, dass sie tot sind, aber trotzdem nehme ich das Kind an die Hand und suche mit ihm.
Eine geraume Weile verbringe ich während des Umherlaufens auch in einer Umkleidekabine, das Kind wartet draußen auf mich. Auch andere warten auf mich und wollen sehen, wie ich umgezogen aussehe. Ich probiere verschiedene Sachen aus, kann mich aber nicht so recht entscheiden. Lange zögere ich, nur mit Unterwäsche bekleidet in der Kabine, und fange an zu schwitzen. Ich weiß, man sieht da draußen meine nackten Knöchel und meinen bloßen Oberkörper bis knapp über den Brüsten. Ich kann nichts daran ändern, auch wenn es mir peinlich ist.
Als ich schließlich zu meiner Staffelei zurückkehre, um das Haus fertig zu malen, haben Arbeiter angefangen, es zu verändern. Ein Teil ist abgerissen, ein anderer Teil hat eine neue Farbe bekommen; Bäume fehlen und Sträucher sind gewachsen; mein angefangenes Bild entspricht nicht mehr dem, was ist – ich muss neu anfangen.

15.1.97

Ich habe mir ein wunderschönes dunkelblaues Kostüm gekauft und freue mich darauf, es zum Fest anzuziehen. Ich stehe im Bus, als Brigitte hereinkommt. Sie trägt ein enganliegendes, leuchtend rotes Kleid. Es ist lang und ganz einfach geschnitten. Ich bin vom ersten Moment an in dieses Kleid verliebt. Ich überrede Brigitte, dass sie es mir leiht und wir für die Dauer des Festes tauschen. Sie gibt mir ihr Kleid ohne Zögern, und nimmt dafür mein Kostüm.
Mit meinem geliehenen Kleid, verführerisch und souverän, bin ich in einem riesigen Haus, in dem alle Räume offen sind. Eigentlich ist das ganze Haus ein Raum. Von der Schlafecke gelangt man in einen Wintergarten, aber bevor man in den Schlafteil gelangt, muss man das etwas dunkle Badezimmer, in dem es mehrere Toiletten wie auf einem Bahnhof – aber nicht in weiß, sondern in dunkelbraun – gibt, passieren. Unter den Türen hervor läuft dunkle Flüssigkeit. Und der Kontrast zu dem hellen Raum dahinter erschreckt mich. Ich will wegsehen.
Brigitte werkelt durchsichtig und konzentriert an den Pflanzen im Wintergarten herum, ich glaube, sie gibt ihnen Wasser. Ihr Mann ist auch anwesend, er bewegt sich fast schleichend durch den Raum, ich führe es darauf zurück, dass er Inder ist. Sie nimmt keine Notiz von ihm. Einer von beiden ist hier ein Geist.
Ich stehe auf einer Balustrade, lehne mich an das Geländer und sehe in diesen großen Raum hinunter. Es wird immer später, die Gäste sind längst weg. Als ich die große Treppe hinuntergehen will, merke ich, dass die vereinbarte Zeit längst überschritten ist. In einem Spiegel sehe ich, wie das rote Kleid an meinem Körper zu einem weiten, formlosen T-Shirt verläuft. Auf dem Rücken ist ein großer Tiger. Ich weiß, dass ich mein Kostüm verspielt habe!

In dieser Zeit bin ich sehr ausgiebig mit dem Sufismus beschäftigt. Habe Leute kennengelernt, die mich zu Derwisch-Treffen mitnehmen. Heute muss ich innerlich lachen, wenn ich mich und den Ernst beschaue, mit dem ich mich hineinlebte in die Mystik und einen Halt glaubte finden zu können. Ein absolutes Aha-Erlebnis ist für mich, als ich in der „Lückenlehre“ und der Rückseiten-Deutung von Wolfgang Döbereiner lerne, dass da tatsächlich eine Lücke klafft: Zwischen der Neptun-Phase und der Jupiter-Phase fehlen zwei wesentliche Entwicklungsschritte. Wassermann/Steinbock bzw. Uranus und Saturn sind nicht geworden und das, was da beim Jupiter ankommt, ist ohne Ursprung und ohne Bestimmung. Jupiter fügt natürlich auch den gröbsten Unsinn. Ja, ich weiß, das sind Begriffe, die im profanen Alltag und im Umgangsdeutsch ganz spezielle Gefühle hervorrufen. Sie klingen schwer zugänglich für Menschen, die einen Gott oder ein Schicksal ablehnen. Sie klingen verstiegen für den, der meint, man müsse alle Ungerechtigkeit zwischen den Menschen damit tilgen, dass man sie in ihrem Ursprung gleich macht. Wer und vor allem wo sind denn aber mein Uranus und vor allem mein Saturn? Die zu finden – das ist genau die Erlösung, die jeder sucht. Also keinen alten und Maßstäbe setzenden Saturn im Außen (einen älteren Lebenspartner, einen wohlwollenden Professor), oder irgendeinen ungewöhnlichen, abenteuerlichen Uranus, der aus der Gesellschaft herausfällt und einen gleich mitnimmt (einen Flüchtling oder Vertriebenen).

Anfang März

Ich steige die Treppe zu meiner ehemaligen Firma hoch. Es ist eine gewundene, verschachtelte Treppe wie in einem Turm, und auf den Stufen stehen viele Hindernisse. Ich muss Kartons beiseite räumen, um mir den Weg zu ebnen. Als ich oben bin, gewahre ich zwei oder drei Räume. In zweien gibt es Computer. Auch diese Räume sind vollgestellt. Es arbeiten mir unbekannte Personen dort. Herr Bauer sitzt mit den Füßen auf dem Tisch in seinem Raum. Er kommt mir sehr klein vor. Aber er ist einfach nur weit weg: er muss jetzt nicht mehr selbst arbeiten, er läßt arbeiten. Ich glaube, er sitzt und feilt seine Fingernägel, während er sich mir, die ich riesengroß in der Tür stehe, mit einem taubenblauen Kleid angetan, halb zuwendet.
Ich ahne, dass nebenan eine andere Frau (Rebecca) arbeitet. Ihre Gegenwart ist spürbar, auch wenn sie nicht sichtbar ist. Sie kommt mir bemitleidenswert vor, denn sie ist nicht gerade eine, die man vorzeigen kann. Sie ist unscheinbar, schüchtern und kommt nicht hinter ihrer Arbeit hervor. Mir will scheinen, als wäre sie es, wegen der ich hierherauf gekommen bin. Sie will ich kennenlernen, zumindest ansehen, wissen, wie sie aussieht. Sie ist doch die, die hier den körperlosen Apparaten Schriftliches entlockt, Greifbares, Schwarz-auf Weißes.
Herr Bauer beginnt, über sie zu reden. Er macht sie schlecht, vergleicht sie mit mir, lästert, ist zutiefst ungerecht und selbstgerecht.
Das finde ich unmöglich. Wie kann er so etwas tun! Sie sitzt doch nebenan, hört ihn möglicherweise, sie tut die ganze Arbeit für ihn, während ich hier nur zu Besuch hereinschneie. Wie kann er sie vor mir schlecht machen und uns in Konkurrenz bringen? Ich bin sehr entrüstet.
Und in mein unbestimmtes Empfinden hinein zerbröckeln die Mauern um mich herum und die Wände stürzen ein. Ich stehe noch im Türrahmen, der kein Türrahmen mehr ist, auf einer Treppe, die nirgendwohin mehr führt und spüre grenzenlose Entrüstung.

Die Entrüstung überschwemmt mich. In der S-Bahn habe ich morgens eine Idee für ein Bild: eine Rüstung und davor, ganz klein und gekrümmt, eine nackte Frau. Der Schutz ist weg und zurück bleibt eine verwundbare Seele. So fühle ich mich.
Gleich am nächsten Tag ist das Bild fertig. Ich habe es in Bleistift und einmal in Farbe gemalt. Das Bleistift-Original habe ich inzwischen Rebecca zum Geburtstag geschenkt. Dem Ent-Rüstungsbild folgen noch weitere Bilder in Bleistift. Die Ent-Wicklung, die Ent-Stellung und die Ent-Fernung. Dann ist mein Empfinden gesättigt.
Aber meine Zerrissenheit ist noch nicht vorbei. Jedes Wort, das an mich gerichtet wird, jede Bewegung auf meinen Körper zu tut mir weh. Ich wünsche, dass die Kinder das Wort Mama nicht mehr benutzen, dass mein Mann mich nicht erdrückt mit seiner Liebe, die ich jetzt nicht will, – dass mich überhaupt alle in Ruhe lassen. 
Ein Gedicht sprudelt innerhalb von einer Stunde heraus: Einmal Unterwelt und zurück. Ich muss in die Unterwelt, ich muss der Sache auf den Grund gehen. Und dann komme ich wieder aus mir heraus und weiß (ich mache das später zum Titel eines „Gedichts“ – eines Verdichteten): Es gibt Zeiten, in denen man steht und solche, in denen man kniet. Und wenn man gelernt hat zu knien, kann man immer aufrecht stehen.

Und jetzt? Im Jahr 2022? Dann schaue ich doch mal in mein Lebensbuch und lese, was darin steht. Viel Fisch und viel Neptun auf jeden Fall, sagt die Kugel. Ich werde viel weinen, und zwar nicht für mich. Ich bin durch. Ich bin auch draußen – aus der offiziellen Welt, die über uns „zusammenbricht“. Die Erscheinungsseite von Jupiter-Neptun – falls es jemanden wundert, warum ich noch nicht darauf zu sprechen kam – ist Mond-Mars. Das ständige Thema der Lebensverneinung und der berühmt-berüchtigte „Feind im eigenen Haus“. Gilt für einen Menschen wie für einen Staat.

Es mag ja jeder mal für sich schauen, wo seine Erlösung sitzt (auch ohne einen Jupiter-Neptun-Aspekt im eigenen Horoskop), und wo die äußere Konjunktion in diesem Jahr bei ihm steht. 23°58′ Fische – das ist in der Nähe des GSP Uranus-Neptun, Zeit, sich zu stellen und den inneren Kompass zu finden, damit wir nicht äußeren selbsternannten Göttern aufsitzen müssen. Denn diese äußeren Götter, egal welcher Gender-Couleur (was für eine Verstiegenheit) und Aktivismus-Gruppe oder Politik-Riege, sind orientierungslos und reißen uns hoffnungslos rein.

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