So wollten sie es, und so blieb es vielleicht auch in aller Schalheit, die dem anhaftet: Die Jahre 1958 bis 1960 haben Friedberg und Bad Nauheim geprägt. Der „King of Rock’n’Roll“ war zwar in der Kaserne von Friedberg stationiert, lebte privat aber im glamouröseren Nebenort Bad Nauheim. An diesem Wochenende (14.-15.8.2021) gibt es ihm zu Ehren mehrere Gedenkfeiern und Festivitäten mit Verkaufsständen hier wie dort. Nun ja… Elvis zieht immer, aber da steht eben noch ein wenig mehr dahinter, wovon die kleinen Erdlinge meist keine Ahnung haben oder haben wollen oder nicht haben müssen.
Die Kaserne, d.h. das gesamte Areal des amerikanischen Stützpunktes ,gibt es immer noch. Die Ray Barracks liegen verwaist und zugewuchert an der Bahnstrecke meiner kleinen Schnuffelbahn, mit der ich einmal in der Woche von Friedberg nach Friedrichsdorf und zurück fahre. Die Wachtürme sind verfallen, stehen aber noch. Hier und da sind auch noch Scheinwerfer zu sehen – sie werden wohl nicht mehr funktionieren – daneben halb fertig gebaute Gebäude, die nach Abzug der Truppen sich selbst überlassen wurden. Eine Geisterstadt.
Die Kaserne umfasste in ihren „besten Zeiten“ – Friedberg war schon seit 1945 Garnisonsstadt – einen Schießstand für die persönliche Waffenqualifizierung, ein Trainingsgelände für den Stadtkrieg, Fahrzeugwartungseinrichtungen und verschiedene Erholungseinrichtungen. Nach dem Zweiten Weltkrieg war die Kaserne nach Oberleutnant Bernard J. Ray, der posthum für seine Verdienste in der Schlacht im Hürtgenwald ausgezeichnet worden war, benannt worden. Er – 23 Jahre alt – kam ums Leben, als er ein Drahthindernis sprengte, das seiner Einheit den Weg versperrt hatte.
Die Basis wurde im August 2007 geschlossen – die Armeeangehörigen und ihre Familien verließen den Ort und hinterließen ein leichtes Strukturproblem. Abgezogene Truppen hinterlassen immer ein Vakuum. Die westlichen Hüter der letzten Camps des sog. Fulda Gap hatten sich in der Zeit nach der deutschen Wiedervereinigung und dem endgültigen Ende des Kalten Krieges überholt.
Die Lage dieser „Lücke“ ist natürlich alles andere als zufällig: so befand sie sich in den Waldgebieten der deutschen Mittelgebirgslandschaft, als ein möglicher Angriffskorridor der Streitkräfte des Warschauer Paktes von Ost nach West – auf Paris zu. Der Begriff des Gap tauchte erstmals in den 1970er Jahren in einem Taktiklehrbuch über Conventional-Nuclear Operations (konventionelle-atomare Operationen) für Generalstabsoffiziere in Fort Leavenworth auf. Daneben wurde er auch für das Würzburg Gap und Hof Gap verwendet.
Der Wetterau-Kreis und Friedberg/Bad Nauheim und Gießen galten in der militärischen Verteidigungstaktik ebenso als potentielle Kampforte wie Fulda und darum herum u.a. Bad Hersfeld. Das macht etwas mit den Bewohnern. Der hessische Wetterau-Korridor beschrieb dabei die Grenze zwischen dem III. Korps und dem V. Korps. Er war der breiteste Korridor im Nordsektor des Fulda Gap, und wäre aufgrund seiner geographischen Lage für einen Flankenangriff einer operativen Manöver-Gruppe des Warschauer Paktes sehr wahrscheinliches Ziel gewesen. In der Mitte liegt der Vogelsberg als Basaltmassiv und höchste Geländeformation im Einsatzgebiet. Er begrenzt und kanalisiert Panzervorstöße, sein Oberwald ist bzw. war damals schwieriges Gelände (dicht bewaldet, starke Nebelbildung und Tiefschnee im Winter) und daher nur von Infanterie (Jägertrupps) zu halten. Man ging davon aus, dass der Vogelsberg ein potentielles Ziel einer sowjetischen Luftlandung werden könnte. Weiter ging man davon aus, dass die Armeen des Warschauer Pakts im Westen Thüringens ( das zentrale Thüringen auf DDR-Seite war ein Stationierungsschwerpunkt der Gruppe der Sowjetischen Streitkräfte in Deutschland) aufmarschieren, die innerdeutsche Grenze in Richtung Fulda durchbrechen und innerhalb von zwei Tagen bis zum Rhein-Main-Gebiet vorstoßen könnten. Damit wären die Bundesrepublik in zwei Hälften geteilt und die Rhein-Main Air Base, der wichtigste NATO-Luftwaffenstützpunkt in Europa, ausgeschaltet worden. Nun kam es nie dazu, wie wir wissen. 1989 ein Wendejahr.
Leider bin ich militärisch-strategisch nicht fundiert genug gebildet. Nachgelesen zu den oben erwähnten Korps, denn das sollten wir wissen: Das III. US-Korps ist ein sogenannter Großverband der US Army. Der Verband hatte seit dem Zweiten Weltkrieg mehrere Spitznamen: the Phantom Corps ( „Geister Korps“), America’s Hammer („Amerikas Hammer“) und the Counterattack Corps („Gegenangriffskorps“). Zurück geht die Bezifferung und Benennung von Streitverbänden auf den amerikanischen Bürgerkrieg: Zu dessen Beginn wurden die Korps des Unionsheeres innerhalb ihrer Armeen gezählt. So kam es allerdings dazu, dass mehrere Feldarmeen zeitweise ein „III. Korps“ führten (z. B. „III. Korps, Potomac-Armee“ oder „III. Korps, Virginia-Armee“). Nach der Vereinheitlichung der Heere blieb später das Korps der Potomac-Armee als „III. Korps“ übrig, existierte von 1862 bis 1864. Das Fifth Corps (V Corps) – Victory Corps – ist in erster Linie ein militärisches Hauptquartier der Vereinigten Staaten von Amerika. Wiederum im amerikanischen Bürgerkrieg unterstand das V. Korps ebenfalls der Potomac-Armee und bestand von 1862 bis 1865. Beide Corps wurden jeweils im I. wie im II. Weltkrieg reaktiviert.
Und heute? Aufgrund des Umbaus der US Army ab 2007 (siehe Abzug der Amerikaner aus Friedberg) zu einer Interventionsarmee sollte das V. Korps ursprünglich 2009 aufgelöst werden. Teile des Hauptquartiers wurden ab Sommer 2009 allerdings nach Afghanistan, und das Hauptquartier in Gänze schließlich am 12. August 2011 nach Wiesbaden verlegt. Nach der Rückkehr seiner in Afghanistan eingesetzten Teile wurde das V. Corps am 11. Juni 2013 aufgelöst. Aber: Seit dem November 2020 ist es in Poznan in Polen „ansässig“.
Die 1st Medium Tank Battalion/32nd Armor der 3. US-Panzerdivision – Elvis wurde dort eingewiesen – trug seit ihrer Aktivierung am 15. April 1941 in Camp Beauregard, Louisiana, den Spitznamen „Third Herd“, später geändert in „Spearhead“ („Speerspitze“). 1989 – mit Abzug der Armeen des Warschauer Paktes – sollte die Panzerdivision aufgelöst werden, doch der Irak-Ernstfall mit dem Einfall irakischer Truppen in Kuwait änderte die Abzugspläne. Das bereits deaktivierte Flugabwehrbataillon der Spearheads wurde am 8. November 1990 in der Operation Wüstensturm mit der Order zur Verlegung der Einheiten an den Golf und der Unterstellung zum VII. US-Korps eingesetzt. Das war der letzte Einsatz der Division, dem am 15. Februar 1992 mit einer feierlichen Zeremonie in der Drake Kaserne in Frankfurt am Main die Außerdienststellung folgte. Sie wurde auf Nullstärke gesetzt, aber nicht deaktiviert.
Die Ausdrucksweise habe ich absichtlich beibehalten: Aktivieren, Deaktivieren – das ist wie An – und Abschalten. Aber wozu spanne ich einen Bogen von Elvis (natürlich als Lockvogel), zu den us-amerikanischen Panzerdivisionen und zu Friedberg am 14.8.2021?
Die Gemeinsamkeit von all dem ist: Rückzug, Umstrukturierung, Neu-Aktivierung. Wie erleben gerade DEN militärischen Rückzug schlechthin, den der NATO, aus einem langjährigen Kampfgebiet, das die Bevölkerung dort entwurzelt und desolat desillusioniert religiösen Fanatikern überlässt. Afghanistan – seitdem ich denken kann – ist das Land im Fokus – nicht erst seit 2001, nein, bereits seit 1979, als die sowjetischen Militärs erst einzogen und nach 10 Jahren abzogen und aufgaben. 1989 – als die Weltherrschaft sich neu aufteilte.
Wer weiß noch, dass es 1978 in Afghanistan einen Staatsstreich gegeben hatte? Nur Muhammad Taraki am 27. April 1978: Annäherung an den Ostblock, um die gesellschaftliche Umgestaltung (Enteignungen zur Bodenreform) in Angriff zu nehmen. Der Widerstand gegen ihn rief erst so recht Mudschahedin-Gruppen auf den Plan. Taraki wurde im September 1979 ermordet. In der Folge – so liest es sich – eskalierte der Bürgerkrieg, der bald von der CIA unterstützt und finanziert worden sein soll. Sowjetische Invasion, Rückzug, neuer Bürgerkrieg – ein Blutland, ein Kampfort, ein Durchgangsland für Nomaden und Eroberer. Man lese die Geschichte Afghanistans, der Pashtunen und der Entstehung der Taliban nur einmal nach – es wundert einen dann nicht mehr viel.
Auf jeden Fall: Die Rückzüge sind angeordnet und werden jetzt abgewickelt. Erinnern wir uns: nach dem 11. September 2001 hatten die USA am 7. Oktober mit der Operation Enduring Freedom begonnen. Ziel war, das seit 1996 in Afghanistan herrschende Talibansystem zu stürzen und die von dort aus – so nahmen die USA an – operierende Al-Qaida-Organisation unter Osama bin Laden zu zerschlagen. Die NATO-Staaten waren sich einig, dass der Militärschlag gerechtfertigt sei, in islamischen Ländern kam es, zum Beispiel im Nachbarland Pakistan, zu Demonstrationen gegen den Krieg. Am 13. November 2001 fiel die Hauptstadt Kabul. Wenige Wochen nach den ersten Angriffen gelang es der Nordallianz, die bis dahin etwa zehn Prozent des Landes kontrollierte, nahezu das gesamte Land einzunehmen… 10 Jahre später – im Mai 2011 – gelang es, Osama bin Laden aufzuspüren und in der Operation Neptune Spear zu töten. Mission erfüllt, oder? Heute hören wir in den Nachrichten: Die Taliban stehen vor Kabul und sind dabei, die Stadt einzunehmen. Rückabwicklung.
Interventionen von außen haben noch nie Lösungen nach innen gebracht, sie sind und bleiben Übergriffe, unter welcher moralischen oder – was noch schlimmer ist – ressourcen-gierigen Fahne auch immer. Aber wir leben hier in der mitteleuropäischen, dem Taunus vorgelagerten Ebene friedlich und feiern einen Mann, der einem der durchmilitarisiertesten und gespaltetsten Staaten der Welt diente. Also „wir“ ist zu generell – ich bin nur bedingt dabei, eigentlich gar nicht.
Wie ich auf das mit dem „gespalten“ komme, zeige ich in einem anderen Zusammenhang und Text noch auf. Dieses Thema braucht mehr Raum als eine Beitragsseite auf einem Webblog. Zum Schluss noch eine letzte Pirouette – vom einen Pop-Idol zu einem anderen. Sie starben auch nicht wenige Jahre voneinander getrennt. Der eine 1977, der andere 1979. Letzterer wird auch oft „der Elvis Afghanistans“ genannt, was ganz offensichtlich hinkt. Ob der Paradigmenwechsel irgendwo einen Ort finden wird?