Einmal Unterwelt und zurück
An der Pforte empfangen sie mich –
die Wächter der Vergangenheit.
Wir kennen dich – rufen sie –
Du warst schon hier.
Wie lautet dein Stichwort?
WUT.
Nein, das ist es nicht.
ANGST.
Schon näher. Noch nicht ganz.
Sie lassen mich stehen.
Tun gelangweilt – auf meine Kosten.
Zurück will ich indes nicht.
Ich habe etwas zu klären!
Nicht zurück ohne es noch einmal gespürt zu haben…
Doch ich habe mein Stichwort vergessen.
OHNMACHT.
Sie sehen sich mitleidvoll an – und rücken dichter zusammen.
Hinter ihnen glimmt die Vergangenheit wie
zähe, behäbige Lava.
Ich habe doch Wut, Angst und ich
fühle Ohnmacht.
Warum versperren sie mir den Eintritt?
ERINNERUNG
Hohn springt aus ihren Augen.
Ein kalter Hauch streift mich,
ergreift mein Herz.
Was für mich wichtig ist, ist für sie banal.
Das Wort!
Sie beugen sich vor, ihr Atem steht
wie eine Nebelwand zwischen uns.
Ich muß in die Hölle.
Ich weiß, es wird schmerzen.
Ich will es noch einmal spüren,
um ganz sicher zu sein!
Eine Hand wehrt mich ab.
Ohne daß sie mich berührt,
verletzt sie mich.
Ich bin entrüstet. –
ENTRÜSTUNG!
Plötzlich ist das Tor weit offen.
Meine Kleider und mein Gepäck bleiben
auf der Schwelle und
ich tauche ohne Schutz
in den glutroten Lärm
Warum muß ich immer dasselbe
immer noch einmal durchleiden?
Die immergleichen Neider,
die immergleichen Zerstörer,
die immergleichen Schergen der immergleichen,
immerfalschen Lügen,
die sie für die Wahrheit halten!
Meine Wahrheit gilt nichts.
Du bist keine von uns.
Du bist gefährlich.
Du bist ohne Nutzen.
Ihre unausgesprochenen Anklagen
brodeln mir entgegen und
züngeln an meinen Füßen.
Ich bin in der Vergangenheit.
Meine Waffen bleiben ohne Wirkung.
Sobald ich sie einsetze,
lösen sie sich im schwefligen Dampf
um mich herum auf.
Meine Entrüstung wächst ins Unermeßliche,
ehe ich das Gewölbe ganz betreten habe.
Meine Kräfte werden geringer und
mein Körper zieht nach unten.
Mehr noch:
Ich will ihn nicht mehr,
will ihn abwerfen in den warmen, stinkenden,
aber sicheren Sumpf,
aus dem sich mir Arme entgegenstrecken
und mich locken.
Laß dich fallen, signalisieren sie.
Leg dich hin und laß mit dir geschehen.
Es ist für alles gesorgt.
Genau das ist es.
Das habe ich hören wollen, um es
nie wieder hören zu müssen.
Ich spüre ihren Neid,
gelben, bohrenden, auffressenden Neid.
Den habe ich spüren wollen, um ihn zu überwinden!
Die Sirenen der Bequemlichkeit, die
sich von der Kraft der zwanghaft sich
hierher Verirrenden, der Kämpfenden,
nähren,
zersetzen mit ihrem Speichel
jede Aufrichtigkeit
jede Wirklichkeit
die ihnen nicht genehm ist,
aber verbraucht werden kann.
Das Feuer der Hölle braucht ständig neue Nahrung.
Mein Körper ist unendlich müde,
er will sich schlafen legen
und gehorcht mir nicht mehr.
Wo ist der Sinn?
Für wen?
Diese immerselben Fragen tauchen in
flammenden Lettern aus der Brodelei.
Doch bevor ich dem roten Blei,
das um meine Glieder knatscht,
nachgebe,
durchschießt mich ein Blitz
vom Scheitel bis zur Sohle.
Ich bin der Sinn meines Lebens,
für mich und
für niemanden sonst
lebe ich.
Niemanden interessiert,
was aus mir wird,
niemand schert sich,
wenn ich aus dem Reich
der Unwissenden, Unlebenden, Unfühlenden
nicht zurückkehre.
Nur ich – ich verspiele die Chance
zu begreifen, wenn ich den
Sirenen folge.
Redet mit mir, ihr ewig Unausgesprochenen,
rufe ich.
Warum seid ihr bloß in der Menge stark?
Ich trotze und blicke sie an.
Als wäre ich Medusa,
wenden sie sich ab,
halten meinem Blick nicht stand.
Unter Aufbietung meiner letzten Kräfte
erreiche ich das
jenseitige Tor.
Klopfe, damit die Wächter der
Gegenwart mir öffnen.
Das Stichwort.
Rufen auch sie und kreuzen die
Schwerter vor meinem Gesicht.
UNABHÄNGIGKEIT!
hauche ich, bangend,
daß ich es wieder nicht auf Anhieb
geschafft habe.
Ich bin draußen.
Ich bin allein, aber unversehrt,
bis auf die Narben an meinen
Füßen.
Meine Haut ist dünn,
mein Schutz lächerlich,
aber ich lebe.
Und das ist mehr
als das Schicksal jener anderen
ihnen übrig gelassen hat.