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DAS PFLASTER AUF DER WUNDE…

… unserer Unzulänglichkeit

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Von Vollständigkeit und Freiheit

„… und fordert im Geiste dieser beiden Aufklärer einen aufgeklärten Islam…“[1] heißt es im Ankündigungstext zu Monika Marons Dankesrede, die sie hielt, nachdem sie den Lessing-Preis des Freistaates Sachsen erhalten hatte.

In der gehaltenen und inzwischen abgedruckten Rede geht es um zwei Männer – und um zwei Religionen, nein, eigentlich drei, und die Möglichkeit der Annäherung. Dazu und zu noch einigen anderen Dingen habe ich mir Gedanken gemacht.

Keine Religionsform allein deckt alle Bereiche und Bedürfnisse  aller lebenden Menschen ab. Religionen (noch bevor sie solche genannt werden) entstehen, wenn Menschen das Bedürfnis haben, ihre Erfahrungen oder Wünsche oder Hoffnungen abgebildet zu sehen, aber außerstande sind, ihren eigenen Antworten zu trauen oder gar nach ihnen suchen. In die entstandene und empfundene Lücke wird aus der Not des Nicht-Ausdrücken-Könnens das eingefüllt, das die Suchenden am ehesten befriedet und ihnen das Gefühl gibt, einer Antwort auf der Spur zu sein. Wonach sie suchen, ist immer das, was sie  „ganz“ macht, das sie der (oder auch einer vermeintlichen) Vollständigkeit näher bringt. Vollständig-Sein ist eins der sehr wichtigen Konzepte fast aller,  und nicht nur der monotheistischen, Religionen.

Berge sind wie Pyramiden Symbole des menschlichen Versuchs Gott zu erkennen. Berge sind symbolische Begegnungsstätten der mundanen und der spirituellen Welt. [2]

In den griechischen Sagen findet man das klar aufgeteilt: hier die Menschen, die in ihrer Menschenwelt vor schwere, fast unlösbare Aufgaben gestellt sind, dort die Götter, die im Olymp (Gebirge in Griechenland) die Archetypen der menschlichen Eigenschaften abbilden und nun in einer Parallelwelt Paten oder die Feuerleger für „ihre“ Entsprechungen auf der Erde sind.

Unter den Göttern streiten sich die Unvollkommenheiten der Menschen, Götter machen die Menschen zu ihren Vertretern und führen die Sterblichen entweder in den Untergang oder in den Olymp hinauf. Was wäre Odysseus ohne Athene, was wäre Paris ohne Aphrodite, Kassandra ohne Apollo? In den meisten Fällen finden wir Dichotomien, also Gegensätzliches, das sich aneinander vernichtet oder gemeinsam wächst.

Der griechische Olymp ist das Pantheon der menschlichen Abgründe und Tugenden, dessen letztes Ziel die Herstellung bzw. der Erhalt einer Ordnung ist. Dabei ist die Ordnung immer wieder gefährdet, sie muss neu ausgehandelt werden, sie ist nie für immer oder statisch.

Weil er nicht scheinen will, leuchtet er. Weil er von sich absieht, wird er beachtet. Weil er nichts für sich will, hat er Erfolg. Weil er nichts aus sich macht, hat er Macht. Weil er nicht widersteht, widersteht ihm nichts.[3]

Weiterlesen kann man hier: Pflaster (1)

 

[1] Das Licht des Wissens, Monika Maron, in: Spiegel 4/2011, S. 104

[2] Alan Hovhaness, Komponist: „City of Light“, 1911-2000 (übersetzt aus dem Englischen v.d.V)

[3] Laotse

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